Der Implex
Vergangenheit, in den Zeiten der Leibeigenschaft auf dem Lande und der Zünfte in der Stadt. In diesen Zeiten waren sie begreiflich und notwendig«. 32
Dieses erstaunliche Wort, »notwendig«, verrät die Marxistin, die sich keinen Illusionen darüber hingeben will, daß ein niedriger Stand der Produktivität und der Arbeitsteilung nun mal bestimmte starre Hierarchien bedingen muß, zum Beispiel daß diejenigen, die gebären können, dies auch tun, damit die Bodentruppen der Produktion nicht ausfallen, und daß sie im naturwüchsigen, ungeplanten, also brutalen Anschluß daran gleich überhaupt für die ganze undankbare, unterbezahlte und stumpfsinnige Reproduktionssphäre (Kochen, Waschen, Bettenmachen) abgestellt werden. Genau so wird unter solchen Vorzeichen auch der König, am sozusagen anderen Ende des arbeitsteiligen Spektrums der primitiven Gesellschaft, als Joker im Spiel der adligen und kirchlichen Interessen benötigt – und kann gar nicht anders zu seinem Thron kommen als durch Gottesgnadentum; denn wenn man die miteinander oft bis aufs Blut verfeindeten Träger der aristokratischen Partikularinteressen den Chef wählen ließe, würde man deren Kampf, der die Gesellschaft ohnehin andauernd zu zerrütten droht, erst so richtig zum allgemeinen Mord und Totschlag anheizen.
Ganz wie Marx unbestechlich und fern jeder Ausgebeutetenromantik die Verbrechen der »ursprünglichen Akkumulation«, das heißt der Entstehung des modernen Kapitalismus aus nacktem Raub, Zwangsrekrutierung und Knechtung von noch nicht an die Lohnarbeit gewöhnten Menschen beschreibt, sagt Rosa Luxemburg, wenn sie Monarchie und Rechtlosigkeit der Frau als etwas beschreibt, das »heute durch die moderne kapitalistische Entwicklung entwurzelt« und »zur lächerlichen Karikatur auf die Menschheit geworden« sei, daß ein ökonomisches System, welches die Abhängigkeit von Jahreszeiten, Ernteglück und anderen höheren Mächten durch industrielle Fabrikation, Lagerhaltung und entwickeltes Transportwesen verwunden hat, einen vorher nie gekannten Spielraum für die Befreiung von sämtlichen Resten solcher bäuerlicher, »vermorschter« Naturabhängigkeit schafft. Wir haben, sagt sie, jetzt den allgemeinen Reichtum, wir müssen nicht mehr in primitiven Kommandozuständen leben, wir können die Menschheit herstellen – wer von der Hand in den Mund lebt, wird Unterdrücker oder Unterdrückter, wer das nicht muß, ist zur Freiheit nicht allein berechtigt, sondern (und erst an dieser Stelle kommt für Marxisten die Moral) verpflichtet.
Das für politische Schriftstellerei (die im bürgerlichen Zeitalter seit der Aufklärung vor allem idealistisch, moralisch, normativ auftritt, wenn auch nicht mehr an den lieben Gott und seine Schriften gefesselt) sehr ungewöhnliche Herleitungsverfahren der Kritik und des Forderns ist gemeint, wenn Marxisten immer wieder vorgeworfen wird, sie dächten »monokausal« und nähmen das Eigengewicht oder die Eigengesetzlichkeit von Abscheulichkeiten wie Rassismus, Sexismus, Homophobie nicht ernst. Aber eben weil sie diese widerlichen Erscheinungen in einen Kontext stellen, der über das Messen historischer Fakten an der Elle einer Moral, die man teilen kann oder nicht, hinausgreift, in Räume der Praxis statt des Wünschbaren oder Befürchtbaren, können sie die Machthaber überall da herausfordern, wo diese behaupten, das schlechte Gegebene sei nicht nur gegeben, sondern richtig, vernünftig, nötig.
Dennoch wird, solange es Marxisten gibt, die Beschwerde wohl nicht aussterben, diese teilten alle Mißstände dieser Welt in Haupt- und Nebenwidersprüche ein – der Hauptwiderspruch, das ist dann der Klassenwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit, alle anderen (Rassismus, Frauenunterdrückung, Ökologie) seien nur Nebenwidersprüche. In Rosa Luxemburgs Frauenwahlrechtsschrift begegnet die Autorin diesem Vorwurf gleichsam, ohne ihn auszusprechen; der ganze Text ist durchdrungen von einer gar nicht dummen Frage: Welche soziale Kraft, wenn nicht die Bewegung der den kapitalistischen Reichtum schaffenden, aber von seinem Genuß und seiner Verteilung abgeschnittenen Lohnabhängigen hat überhaupt die Kraft, dem Kapital gegenüber Rechte von Unterdrückten durchzusetzen? Es kämpfen ja, wo gekämpft wird, nicht Ansprüche, Weltanschauungen oder Ideen miteinander, sondern Verbände, und der organisierte Sozialismus hat nun einmal die Bataillone und die geschichtliche Erfahrung mit der Machtfrage, die anderen
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