Der Indianerlord
Krieger die Frau eines anderen stahl. Meistens wurde das Problem ohne großes Aufheben gelöst. Wenn die Frau eines angesehenen Mannes davonlief, gebot ihm sein Stolz, die Situation gelassen hinzunehmen und vielleicht ein paar Ponys als Entschädigung zu verlangen. Aber No Water fühlte sich zutiefst verletzt, folgte den Flüchtlingen und schoss auf Crazy Horse. Er traf ihn ins Kinn und glaubte, er hätte ihn getötet. Doch Crazy blieb am Leben, behielt jedoch eine Narbe in der unteren Gesichtshälfte zurück. Sein Onkel pflegte ihn gesund.
Einen Krieger aus dem eigenen Stamm beinahe zu töten - dieses Vergehen wog viel schwerer als der Diebstahl einer Ehefrau und konnte ein Blutbad heraufbeschwören. Doch in diesem Fall behielten die Männer einen kühlen Kopf.
Der Onkel nahm ein paar Ponys von No Water an, und Crazy Horse erklärte, er würde die Sache auf sich beruhen lassen, solange Black Shawl nicht für den Zwischenfall büßen müsse. Wenn ein Mann Ehebruch beging, wurde er nicht bestraft. Den Frauen wurden manchmal die Nasen zerschnitten oder sie erlitten andere Verstümmelungen—
Nachdem die Angelegenheit geregelt war, kehrte Black Shawl zu No Water zurück. Crazy Horse hatte seine Schande ertragen und beschlossen, sich als tapferer Krieger auszuzeichnen.
Nun saß er in seinem Wigwam am Feuer und rauchte seine Pfeife. Trotz der Narbe, die sein Kinn entstellte, war er ein attraktiver, kräftig gebauter Mann mit markanten Zügen.
»Willkommen«, begrüßte er Blade und Ice Raven, die sich zu ihm setzten. Er erkundigte sich, was im Territorium der Weißen geschah, und sie erstatteten Bericht. Dann fragte er scherzhaft: »Und wie geht es meinem rotweiß gestreiften Bruder?«
»Hawk trauert um seinen Vater.«
Wehmütig nickte Crazy Horse. David Douglas war in Sioux-Kreisen geliebt und bewundert worden. Niemals hatte er ein Versprechen gebrochen, und das war ungewöhnlich für einen Weißen.
»Wir haben lange miteinander geredet«, erzählte Blade. »Und die Zukunft" die er voraussieht, missfällt ihm.«
»Dass die Weißen in die Black Hills vordringen wollen?«
Ice Raven zuckte die Achseln. »ja, aber nicht nur das.«
»Ist Hawk der Meinung, wir dürften uns nicht feindselig verhalten?«
»Nein. Er ist ein Sioux, und er vertritt den Standpunkt, jeder Mann sollte seine eigenen Entscheidungen treffen. Doch er fürchtet, die Weißen würden uns als Hindernis betrachten, das man entfernen muss. Also werden sie uns so ausrotten wie die Büffel.«
»Oh, sie haben unsere Herden schon stark gemindert«, seufzte Crazy Horse. Mittlerweile lebten Tausende von Sioux auf dem Grund und Boden der amerikanischen Behörden. Sie versuchten ihre feindlich gesinnten Freunde und Verwandten zu beeinflussen und beteuerten, der weiße Vater, Präsident Grant, würde ihnen Rinder schenken, die sie jagen und die ihre Squaws schlachten konnten.
Aber Crazy Horse wollte keine Rinder jagen. Viele zunächst friedfertige Sioux hatten die Reservate wieder verlassen und all die Geschichten vom Überfluss Lügen gestraft. Meistens steckten die Getreiderationen voller Würmer. Die wenigen Rinder waren abgemagert oder krank. Und in den Regierungsstellen nahm die Korruption der Beamten unentwegt zu. Sogar die weißen Soldaten, die sich mit friedliebenden Indianern angefreundet hatten, gaben diese Missstände zu.
Damit wollte Crazy Horse nichts zu tun haben.
Nun paktierte Red Cloud, einst ein erbitterter Krieger, mit den Weißen. Deshalb hegte Crazy Horse keinen Groll gegen ihn, aber er teilte seine Anschauungen nicht.
Mit Red Clouds Hilfe wollten die Weißen den Sioux die Black Hills abkaufen. In diesem Punkt hatte sich das Lager der Sioux-Häuptlinge gespalten. Ein Teil strebte den Verkauf an, der andere sprach sich dagegen aus. Und niemand wusste, welchen Preis man fordern sollte.
Das alles interessierte Crazy Horse nicht. Solange er die Sonne auf- und untergehen sah, würde er niemals an solchen Verhandlungen teilnehmen.
Obwohl Thunder Hawk seinen Stamm verlassen und sich die Lebensart der Weißen angeeignet hatte, blieb er in seinem Herzen ein Sioux. -Stets bemühte er sich, seinen roten Brüdern zu erklären, was die Weißen sagten - und was sie meinten. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, erläuterte Hawk die wahre Bedeutung trügerischer Worte. Wenn er mit Gefahren rechnete, warnte er die Indianer und empfahl ihnen, wann sie nachgeben sollten und wann nicht. Und während er ihnen Ratschläge erteilte, bedachte er immer,
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