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Der Insulaner

Der Insulaner

Titel: Der Insulaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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immer wieder verlässt und ein Stück zurückläuft. Dabei scheint er sich den Sümpfen im Osten zuzuwenden. Vielleicht lebt sein Geist dort.«
    »Schon ehe wir aufbrachen, verbrachte er sehr viel Zeit im Sumpf«, sagte Hael nachdenklich. Für einen Shasinn war das ausgesprochen ungewöhnlich, da sie sich am liebsten im Grasland aufhielten. Hin und wieder gelangten sie auf ihren Wanderungen in die Berge oder an die Küste, aber alle Shasinn hassten die Sümpfe, in denen es vor giftigen Kreaturen und stechenden Insekten nur so wimmelte, und die als Todesfallen für Menschen und Tiere galten. Nur böse Geister würden sich in einer solchen Umgebung aufhalten.
    »Die Geisterbeschwörer sind ziemlich beunruhigt«, sagte Luo. »Aber Gasam meint, sie seien bloß eifersüchtig und versuchten mit aller Macht, nicht an Einfluss zu verlieren. Deshalb würden sie behaupten, niemand außer ihnen könne Verbindung zur Geisterwelt aufnehmen.«
    »Wir möchten, dass du mit Tata Mal sprichst«, sagte Raba. »Seit Monaten kann man nicht mehr vernünftig mit Gasam reden, daher müssen wir es auf andere Weise versuchen. Außerdem hat keiner von uns ein solches Gespür für die Geister wie du.«
    »Ich habe mit ihm schon einmal über Gasam gesprochen. Das war, ehe er behauptete, sich mit einem Geist austauschen zu können. Erwähnt er auch die Könige und Armeen der Shasinn?«
    »Ja«, nickte Raba und stieß unmutig den Speer in den Boden. »Und ein paar Krieger – wenn auch nur wenige – finden Gefallen an seinem Gerede. Er sammelt eine kleine Gruppe von Speichelleckern um sich, die zum größten Teil aus anderen Bruderschaften stammen, und die sind genau wie er. Sie glauben, nicht genügend gewürdigt zu werden und einer führenden Stellung vorbestimmt zu sein. Sogar ein paar ältere Krieger hören ihm zu, und er sucht die Nähe der Ältesten. In letzter Zeit hat man ihn häufig zusammen mit Borlin gesehen.« Borlin war ein Ältester, der über bescheidenen Wohlstand verfügte und nur eine einzige herausragende Begabung besaß. Ein wundervoller Redner mit klangvoller, wohltönender Stimme und einem einzigartigen Gespür für einprägsame Gesten und Wendungen. War es notwendig, Abgesandte zu anderen Stämmen zu schicken, wurde Borlin immer zum Wortführer gewählt, obwohl ihm andere genau erklären mussten, was er zu sagen hatte, denn seine Klugheit ließ zu wünschen übrig.
    »Tatsächlich?« murmelte Hael nachdenklich. »Vielleicht ist er verrückt, aber keineswegs außerstande, Pläne zu schmieden, bei denen sich Borlin als wertvoller Verbündeter erweisen mag. Und wenn er auf diese Weise noch mehr Menschen beeinflussen kann …«
    »Vielleicht«, unterbrach ihn Luo mit rätselhafter Miene, »aber warte, bis du ihn gesehen hast.«
    Als Hael ein paar Stunden später neben der Herde einherschritt, fragte er sich, wie es sein konnte, dass ein Mann, der in den Augen seines Volkes verrückt war, dennoch die Wertschätzung anderer Menschen genoss? Konnte man Verrücktheit vortäuschen? Wenn ja, warum? War es möglich, dass Gasam gar nicht wahnsinnig war, sondern einen finsteren Plan ausheckte, und sein wirres Gerede einen tieferen Grund hatte? Hael wusste aus Erfahrung, dass es für einen jungen Krieger nicht leicht war, die Aufmerksamkeit der Ältesten zu erregen. Da die jungen Burschen die meiste Zeit von den anderen getrennt lebten, waren sie für die Einflussreichen so gut wie unsichtbar und verbrachten ihre Zeit damit, die Kaggas zu hüten und sich voreinander und vor den jungen Mädchen aufzuspielen. Zum ersten Mal begriff er, dass Gasam viel mehr war als nur ein närrischer junger Krieger und sich als Gefahr, ja, als große Gefahr erweisen mochte. Er wollte die Menschen beeinflussen und beeindrucken. Warum sonst sollte er die Gesellschaft eines alten Langweilers wie Borlin suchen, wenn er nicht von ihm die Kunst der mitreißenden Rede lernen wollte? Ein derart vernünftiges Vorgehen sah einem Verrückten nicht ähnlich. Aber aus welchem Grund tat er so, als könne er mit Geistern sprechen? Und was suchte er in den Sümpfen? Eines war sicher: Er musste sich jetzt noch mehr vor Gasam hüten als zuvor.
    An einem so schönen Tag wie heute fiel es Hael schwer, sich mit unguten Gedanken zu beschäftigen. Über ihm türmten sich majestätische Wolkengebilde am blauen Himmelszelt. In luftiger Höhe schwebte eine Hammerkopfformation vorüber. Die mannshohen Körper wurden von riesigen, doppelt so langen Schwingen getragen, und die langen

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