Der Insulaner
werden?«
»Ganz bestimmt«, erwiderte Gasam. Er wies mit dem Speer nach Süden. »Da liegt ein dichter Dschungel, in dem Schreckenskatzen hausen. Außerdem verbergen sich wilde Burschen dort, Ausgestoßene anderer Stämme, die sich von Raubzügen ernähren. Und da …« – er deutete nach Westen – »… liegen die Dörfer der Asasa, die unsere Herden auch nicht allzu lange ungeschoren lassen werden. Friedliche Zeiten stehen uns nicht bevor, bis wir uns bewährt haben und ihnen zeigen, dass mit uns nicht zu spaßen ist.«
»Das ist gar nicht schlecht«, fand Hael. »Wir jungen Krieger brauchen Kampferfahrung, und die älteren Männer trinken zu viel Ghul und faulenzen die meiste Zeit.«
»Das stimmt«, nickte Gasam. »Ich hoffe, dass dieser Ort den alten Kampfgeist der Shasinn wieder erweckt. Nun, jetzt muss ich mich um den Lagerplatz der Nachtkatzen kümmern. Lass es dir gut gehen, Hael.«
Verdutzt starrte Hael ihm nach. Gasams Worte hatten weder feindselig noch heuchlerisch geklungen. Ein anderer Mann wäre jetzt beeindruckt gewesen, aber Hael konnte Gasams Gesichtsausdruck nicht vergessen, als er durch den Langhals schwer verwundet worden war. Nur das Benehmen und die Worte des Stiefbruders hatten sich geändert, aber er war deshalb nicht weniger gefährlich. Man durfte Gasam nicht unterschätzen.
In den nächsten Tagen, als die Dörfer errichtet wurden, herrschte überall eifriges Treiben. Dazu schickten die Ältesten Leute in die nahe gelegenen Wälder, um Bauholz zu besorgen. Diese Arbeiten wurden größtenteils von Männern aus den umliegenden Dörfern verrichtet, die sich von den Shasinn anwerben ließen. Haels Volk hasste schwere körperliche Arbeiten, die es als erniedrigend empfand. Während der Wanderschaft hatten sich die Krieger beim Tragen der schweren Geisterpfähle abgewechselt, aber da diese Pflicht nur von Shasinn erfüllt werden durfte, galt sie trotz der schweißtreibenden Arbeit nicht als ehrenrührig.
Die Hütten bestanden aus kreisförmig stehenden Pfählen, zwischen die man biegsame Weidenruten flocht, später dann Grasmatten darüberhängte und diese schließlich mit Lehm bedeckte. Die kegelförmigen Dächer wurden mit Reet gedeckt. Für die Versammlungshäuser und großen Lagerschuppen benötigte man dickere Stämme und einen Holzfußboden aus Planken. Den größten Teil an Holz erforderten jedoch die Palisaden, die jedes Dorf umgaben. Erst wenn diese Arbeiten vollendet waren, gestattete man den jungen Kriegern, ihre schlichten Lager aufzubauen.
Hael begleitete eine der Gruppen, die zum Holzholen in die Hügel im Westen zog. Offiziell hieß es, die jungen Männer sollten die Arbeiter in ihren Pflichten unterweisen, aber in Wahrheit sollten sie die Männer vor wilden Tieren schützen. Die Einheimischen wussten, was sie zu tun hatten, und kein Shasinn hätte ihnen vernünftige Anweisungen erteilen können.
Der Weg in die Hügel nahm einen halben Tag in Anspruch, und Hael nutzte die Gelegenheit, sich mit den Dörflern bekanntzumachen. Es handelte sich zumeist um Bauern, die kleine Quilherden, ein paar Kaggas und ein oder zwei Nusks besaßen. Sie waren von kleiner, gedrungener Statur, hatten dunkle Haut und lange schwarze oder braune Haare, die zum Teil einen überraschend rötlichen Schimmer aufwiesen. Die meisten besaßen braune Augen, seltener blaue. Sie waren fröhlich und unbekümmert und froh darüber, der schweren Feldarbeit für ein paar Tage den Rücken kehren zu können und als Lohn ein paar gute Kaggas zu erhalten.
Die übrigen Krieger verhielten sich abweisend, aber das schien die Einheimischen, die sich Cana nannten, nicht zu stören. Wäre er nicht sicher gewesen, ein solcher Gedanke sei absurd, hätte Hael gar vermutet, die Cana würden sich insgeheim über die Überheblichkeit der Shasinn lustig machen.
Die stämmigen, muskulösen Männer, deren kräftige Arme von der jahrelangen Feldarbeit zeugten, bewegten sich zielstrebig, aber natürlich nicht so flink und anmutig wie die Krieger.
Natürlich interessierte sich Hael am meisten für ihren Glauben und ihre Magie. Er fand heraus, dass sie ausgesprochen einfache und schlichte Bräuche pflegten. Es gab Zaubersprüche, die vor dem Pflügen gesprochen, Lieder, die während dieser Arbeit und während des Säens gesungen wurden – und so ging es weiter, bis schließlich die Erntezeit gekommen war. Alles schien sich um zwei Dinge zu drehen: Fruchtbarkeit und Regen. Hael erkundigte sich nach Göttern, und die Bauern
Weitere Kostenlose Bücher