Der italienische Geliebte (German Edition)
Militärschule versetzt.
»Maddalena hat einen Brief von ihm bekommen. Sie hat ihn mich lesen lassen.«
»Und? Geht es ihm gut?«
»Das schreibt er jedenfalls. Er hat es satt, aber du kennst ja Guido, er konnte noch nie still sitzen.«
Faustina fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, dann stand sie auf und sah in einen Spiegel. »Oh! Danke, Tessa.«
Das Haar umrahmte kurz und fedrig ihr Gesicht und machte ihre scharfen Züge weicher. »Du siehst richtig schick aus – wie eine echte gamine «, sagte Tessa.
Faustina drehte sich nach ihr um. Ihr Lächeln trübte sich. »In Florenz heißt es, Badoglio hätte zu lange gewartet und schon vor Wochen mit den Alliierten verhandeln müssen. Die Leute wollen wissen, was die Regierung zu tun gedenkt, wenn die Alliierten auf dem Festland landen; ob es einen Waffenstillstand gibt, und wie die Deutschen dann reagieren werden. Im Krankenhaus habe ich mich mit einem Chirurgen unterhalten. Er hat mir erzählt, dass deutsche Truppen in Scharen über die nördlichen Grenzen nach Italien strömen. Du weißt, was das heißt? Dass sie entschlossen sind, um jeden Zentimeter italienischen Boden zu kämpfen.«
Es gab keine Zeitung und keine Post. Telefonleitungen waren unterbrochen, Bahnreisen so gut wie unmöglich, und auf vielen Straßen wurden Sperren errichtet.
Nach dem Fall Siziliens Ende August landeten alliierte Truppen in Reggio, an der Küste von Kalabrien. Fünf Tage später, am Nachmittag des 8. September, wurde der Waffenstillstand verkündet. Die Menschen auf dem Gut und auf den Höfen jubelten. Am Abend wurden Freudenfeuer angezündet, und man feierte mit Tanz und Gesang.
Sie vergruben ihren Benzinvorrat in der Obstpflanzung und montierten die Reifen des riesigen alten Alfas ab, den Olivias Vater gefahren hatte. Vergeblich – nur wenige Tage nach der Kapitulation erschienen deutsche Soldaten auf dem Gut, um den Wagen zu beschlagnahmen. Der Hauptmann war höflich, aber unnachgiebig – es mache nichts, dass dem Alfa die Reifen fehlten, sie würden welche auftreiben. Am nächsten Tag brachten zwei Soldaten Reifen und Benzin und fuhren den Wagen weg.
Die Hoffnung begann zu schwinden. Aus den Nachrichten der BBC und des Schweizer Senders Radio Monte Ceneri erfuhren sie, wie schlecht die Aussichten waren. Bei herrlichem Frühherbstwetter bewegten sich Kolonnen deutscher Panzer und Panzerwagen auf Landstraßen in südlicher Richtung, den Brückenköpfen der Alliierten südlich von Neapel entgegen. Niemals hätten die Deutschen ihre Truppen nach Süden geschickt, wenn sie nicht entschlossen gewesen wären zu kämpfen.
Am 10. September besetzten die Deutschen Rom. Widerstand gab es kaum. In Nord- und Mittelitalien wurden weitere Städte erobert, und am 12. September befreiten deutsche Fallschirmjäger in einem gewagten Kommandounternehmen Mussolini aus der Gefangenschaft. Drei Tage später verkündete er seine Rückkehr an die Macht und errichtete in Salò am Gardasee eine faschistische Regierung.
Auf den stillen Wegen des Landguts wurden Fremde gesichtet. Sie klopften an Herrenhaus und Pachthöfe und baten um Nahrung und Kleidung und ein Quartier für die Nacht. Es waren italienische Soldaten, die ihre Uniformen abgelegt und beschlossen hatten, sich auf eigene Faust nach Hause durchzuschlagen, nachdem sie von dem Waffenstillstand erfahren hatten und aufgefordert worden waren, sich beim deutschen Hauptquartier zu melden. Es waren alliierte Kriegsgefangene, die aus Angst vor einer Deportation nach Deutschland aus den Lagern ausgebrochen und nun südwärts zu den Linien der Alliierten unterwegs waren. In den Wäldern des Guts hatten sich unzählige Flüchtlinge versteckt. Hin und wieder tauchte ein Sohn oder Ehemann, der jahrelang in Frankreich oder Jugoslawien gewesen war, auf einem der Pachthöfe auf. Ein englischer Gefangener in der zerlumpten Kleidung eines Landarbeiters hackte ein Feld oder las Steine aus einem Acker und bekam dafür Nahrung und Unterkunft. Gerüchte kursierten: von britischen Kriegsgefangenen, die auf der Flucht erschossen worden waren, und von italienischen Soldaten, die, nicht schnell genug aus ihren Kasernen geflohen, zusammengetrieben und auf Güterwagen oder Transportern mit unbekanntem Ziel nach Norden befördert worden waren.
Im Herrenhaus wusste man nichts über das Schicksal Sandros und Guidos.
Eines Morgens klopfte ein australischer Kriegsgefangener an der Krankenstation. Sein Name war Sam
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