Der italienische Geliebte (German Edition)
in Guido Zanetti verliebt hatte. Damals hatte sie ihn geliebt, weil er am schnellsten schwimmen konnte, weil er mit Kleidern ins Wasser gesprungen war und weil seine Blicke sie zum Schmelzen gebracht hatten.
Doch so viel sich verändert hatte, abgeschliffen von Zeit und Erfahrung, sie hatte in den Tagen und Nächten an seiner Seite erkannt, dass sie ihn immer noch liebte. Sie liebte ihn wegen seiner Entschlossenheit und seines Muts, aber auch wegen seiner Verletzlichkeit. Verrückt, dachte sie, dass man sich in einen Mann noch einmal ganz neu verlieben kann, nur wegen der Fragen in seinem Blick.
Er sagte: »Tessa?«
Sie stand am Fenster und drehte sich lächelnd um. »Hallo, Guido. Wie fühlst du dich?«
»Besser.«
Er sah sie verwirrt an, und sie erklärte. »Du bist krank gewesen. Olivia, Faustina und ich haben dich gepflegt.«
Er versuchte, sich aufzusetzen. Sie half ihm, stopfte ihm mehrere Kissen in den Rücken. Dann setzte sie sich auf die Kante des Feldbetts und legte ihre Hand auf seine Stirn. Sie war kühler.
»Wie lange bin ich schon hier?«, fragte er.
»Eine Woche.«
Er war bestürzt. »Ich kann mich nicht erinnern…«
»Zwei Freunde haben dich zur Krankenstation gebracht.«
Er runzelte die Stirn. »Mich hat eine Kugel erwischt.«
»Ja, in der Schulter. Die Wunde heilt gut.« Sie wollte ihn nicht mit vielem Reden ermüden. »Glaubst du, du kannst etwas essen?«
»Ich kann’s versuchen.«
Tessa machte auf dem Ölofen Brühe warm und fütterte ihn. Nach ein paar Löffeln schüttelte er den Kopf. »Gott – ich komme mir vor wie ein Baby.«
»Das ist doch nicht so schlimm. In ein, zwei Tagen kannst du das wieder selber.«
Sie stellte die Suppenschale weg.
»Du brauchst nur etwas Geduld.«
Er lachte mühsam. »Du weißt, dass Geduld noch nie meine Stärke war.« Er griff plötzlich nach ihrer Hand. »Was ist mit Luciella und Maddalena? Habt ihr von ihnen gehört?«
»Es geht ihnen beiden gut, Guido. Olivia hat erst vor einer Woche einen Brief von Maddalena bekommen. Sie sind wohlauf.«
»Gott sei Dank.« Er atmete auf und schloss die Augen.
»Sie sind in Rimini.«
»In Rimini?« Er riss die Augen wieder auf.
»Bei Maddalenas Tante. Maddalena hielt es für sicherer. Mach dir keine Sorgen. Sobald es dir besser geht, kannst du ihnen schreiben.«
»War sie mir sehr böse?«
»Das weiß ich nicht. Aber bestimmt vermisst sie dich.«
Er sagte leise: »Als ich aus der Kaserne weg bin, wusste ich, dass ich damit auch sie im Stich lasse.«
Tessa nahm die Suppenschale. »Versuch, noch etwas zu essen. Je mehr du isst, desto schneller kommst du wieder zu Kräften.«
Sie berichtete ihm von dem Brief, den Sandro aus dem Zug geworfen hatte. »Wir wissen also, dass er am Leben ist«, fügte sie hinzu.
»Dass er damals am Leben war«, sagte Guido zornig. »Sandro war nie zum Soldaten geschaffen.«
»Und du?«
Er versuchte die Achseln zu zucken und verzog vor Schmerz das Gesicht. »Anfangs ist es mir gar nicht so schwergefallen. Aber dann hatte ich es so satt. Ich brauche Klarheit und Ordnung, aber der Krieg ist die meiste Zeit nur ein Riesenkuddelmuddel.«
»Pscht«, sagte sie. »Denk jetzt nicht daran.«
Er wandte den Blick zum Fenster. »Als wir kleine Jungs waren«, sagte er leise, »haben Sandro und ich in diesem Wald gespielt. Einmal haben wir uns verlaufen. Meine Großmutter musste mehrere Leute rausschicken, um uns zu suchen. Sie haben uns erst um Mitternacht gefunden. Als wir älter wurden, kannten wir jeden Baum und jeden Weg. Wir konnten uns selbst in pechschwarzer Finsternis zurechtfinden.«
Er legte sich wieder hin und schloss die Augen. Tessa wusste, dass sie die Linie seines Wangenknochens und die Rundung seines Kinns aus dem Gedächtnis hätte zeichnen können. Sie legte ihre Hand auf die seine und lauschte seinen Atemzügen.
»Als ich mich aus der Kaserne davonmachte«, erzählte ihr Guido, »war ich zunächst fest davon überzeugt, vernünftig zu handeln. Ich wollte mich in den Bergen verstecken und abwarten, bis sich die Lage beruhigte. Aber eigentlich wusste ich, dass es immer schwieriger werden würde, nach Süden durchzukommen, je länger ich wartete. Da bin ich am Ende einfach geblieben, wo ich war.
Ich begegnete immer mehr Leuten, die unterwegs waren wie ich, Deserteure und Männer, die sich der Einberufung entziehen wollten. Am Ende waren wir ein paar
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