Der Jade-Pavillon
Fengxia jetzt mit Blindheit. In ihr brach jede Hemmung. Sie sah nur noch Lida, und nur ein Wille beherrschte sie noch, der Wille zur Vernichtung. Plötzlich schnellte sie vor, ihre Finger spreizten sich, schlugen sich um Lidas Hals, und als sie das zuckende Fleisch spürte, drückte sie zu.
Doch nur ein Augenzucken lang währte der Angriff. Von unten her schlug Lida Fengxias Hände weg, und der Schlag war so hart, daß Fengxia zurückgeschleudert wurde und in das Sojabohnenfeld stürzte. Als sie sich herumwälzte und wieder auf die Knie kam, sah sie den kleinen Jade-Pavillon vor sich stehen. Im gleichen Atemzug wußte sie, daß es Jians Geschenk und das Wertvollste war, was Lida besaß. Mit einem heiseren Aufschrei griff Fengxia danach, wollte ihn hochreißen und an dem flachen Stein, auf dem Lida gesessen hatte, zerschmettern. Aber obgleich Lida über ihr lag und mit den Fäusten auf sie einschlug, gelang es Fengxia, mit den Fingerspitzen den Jade-Pavillon zu berühren. Ein Feuerstrahl, so schien es, fuhr in ihre Hand, und dann schrie Fengxia, schrie, zuckte und krümmte sich und war unter Lida gefangen, die auf ihr lag. Als sich Lida von ihr erhob, streckte Fengxia sich, die Hand, die verbrannt war und doch unversehrt, an ihren Mund gedrückt, und so blieb sie mit geschlossenen Augen liegen und stöhnte in sich hinein: »Ich werde dich töten. Solange ich lebe, werde ich dich jagen. Es gibt für mich kein Leben mehr ohne deinen Tod.«
Als Fengxia endlich wieder die Kraft hatte aufzustehen, sah sie Lida bei ihrem Büffel. Den Jade-Pavillon trug sie in der linken Armbeuge, und sie sprach mit dem Büffel, als sei er ein Mensch.
Ohne noch einmal ihrem Haß nachzugeben, ging Fengxia an Lida vorbei, tappte den rutschigen Pfad zwischen den Reisterrassen hinunter und kletterte die leichte Böschung hinauf, welche die Felder von der Straße trennte. Unterhalb des Schulhügels sah sie das Auto warten; Wu, der sie zuerst sah, drückte dreimal auf die Hupe und winkte durch das heruntergekurbelte Fenster.
Sie beschleunigte ihren Schritt nicht, ging langsam die Straße entlang, und als sie den Wagen erreicht hatte, die Tür aufriß und sich neben ihren Vater auf die Rückbank setzte, sprach sie kein Wort, sondern starrte wie geistesabwesend vor sich hin.
»Was ist geschehen?« fragte Tong. Er bemerkte ihre beschmutzte Kleidung, das Gras und die Sojaschoten in ihrem Haar, und sein Herz krampfte sich voller Ahnungen zusammen.
Wu fragte: »Du hast Lida getroffen? Was hat sie dir angetan? Der Himmel fällt herunter – ihr habt euch geprügelt? Meine Frau, eine Funktionärin der Partei, wälzt sich mit einer Miao im Dreck? Vater«, durch Wu lief ein heftiges Zittern, »laß uns umkehren! Jetzt werde ich Huang die Knochen brechen.«
»Fahr los«, sagte Fengxia leise. »Fahr los und blick nicht zurück. Sie ist schon tot.«
Entsetzen schüttelte Tong. Er riß seine Tochter an der Schulter zu sich herum. »Du hast sie umgebracht?« stammelte er. »Du hast einen Menschen umgebracht? Du hast eine Mörderfamilie aus uns gemacht?«
»Für mich ist sie tot.« Fengxia schüttelte die Hände ihres Vaters ab. »Es ist nicht von Bedeutung, wie lange sie noch lebt; ich weiß nur, daß sie getötet werden muß. Und irgendwo gibt es einen Mann, der mir die Arbeit abnimmt. Ich werde ihn suchen und finden.« Ihr Kopf zuckte zu Wu vor, als sei sie ein zuschnappendes Reptil. »Warum fährst du nicht? Starr mich nicht an wie ein Frosch! Was habt ihr bei Huang erreicht?«
»Nichts!« sagte Wu, und Tong fügte hinzu: »Er ist ohne Einsicht, ein kluger und doch dummer Mensch. Schlägt hunderttausend Yuan aus, so groß ist sein Stolz. Wir hätten uns den langen Weg sparen können. Jetzt ist es unsere Aufgabe, Jian von Huangs Tochter fernzuhalten.«
»Das wird uns erst gelingen, wenn Lida begraben ist.«
»Ich sehe andere Wege, meine Tochter.« Tong blickte aus dem Fenster, während Wu startete und Huili hinter sich ließ. »Und einen habe ich schon beschritten. Es wird sich in den nächsten Tagen vieles ändern. Wir werden im Familienrat darüber reden.«
»Wohin fahren wir?« fragte Wu, als sie bei Yao'an die Straße nach Nanhua erreicht hatten. »Dali oder Kunming?«
»Nach Hause«, sagte Tong und lehnte sich in das Polster zurück. »Ich möchte diese Gegend nicht noch länger sehen. Wir haben heute ein Mitglied der Familie verloren.«
»Jian?« fragte Fengxia atemlos.
»Nein. Zhang. Er gehört nicht mehr zu uns. Es hat in unserer
Weitere Kostenlose Bücher