Der Jade-Pavillon
und westliches Wissen nach China zu bringen. »Ihr Sohn ist jetzt zehn Jahre«, sagte er. »Das beste Alter, sich in eine fremde Kultur einzugewöhnen. Wenn ich so jung wäre wie Sie, würde ich nicht zögern, zumal Sie die Protektion des mächtigsten Mannes nach Mao genießen. Zhou Enlai wird Ihnen alle Wege ebnen. Lassen Sie sich von tendenziösen Presseberichten nicht irritieren. Sie sind Arzt und Forscher, und wenn man Sie braucht, sollten Sie nicht ausweichen. Ganz gleich, woher der Ruf kommt – es geht um den Menschen, nicht um eine Parteiideologie. Gerade China ist auf dem Gebiet der Immunologie ein Entwicklungsland. Pohland, nutzen Sie diese Chance.«
Den letzten Ausschlag gab ein Brief, den Zhou Enlai eigenhändig an Dr. Pohland schrieb. »Überzeugen Sie sich selbst«, schrieb er, »daß Chinas Aufbruch in eine neue Zeit von größter Bedeutung für alle Völker unserer Erde ist, denn China wird eines Tages wieder das sein, was es vor tausend Jahren war: eine Weltmacht, mit der man rechnen muß. Helfen Sie mit am Aufbau, zum Wohl für die ganze Menschheit. Sie und ich sind nur ein kleiner Stein, aber viele kleine Steine ergeben ein Fundament. Ich erwarte Ihr Ja.«
Aus den zwei Probejahren wurden fünfzehn Jahre. Holger, der Sohn, besuchte das englische Gymnasium in Beijing und lernte erstaunlich schnell Chinesisch. Das Wohnungsproblem war schnell gelöst: Das Gesundheitsministerium hielt für die kleine Familie eine schöne, große Wohnung im Diplomatenviertel bereit, in der Donghuanbeilu-Straße, schräg gegenüber der Schweizer Botschaft. Es war eine in einem üppigen Garten liegende Villa mit einem Dach aus glasierten Dachpfannen.
Das Personal – ein Koch, eine Haushälterin und ein Hausmädchen – wurde vom Ministerium gestellt und auch bezahlt; sie waren Augen und Ohren, die alles sahen und hörten und es der Geheimpolizei melden mußten. Pohland erfuhr das erst von einem Botschaftsrat der Schweizer Botschaft, der etwas resignierend sagte: »Man gewöhnt sich daran, Doktor. Das Überwachungssystem ist lückenlos. Am ausgeprägtesten ist es in den Wohnsiedlungen der Chinesen. Dort hat jedes Stadtviertel sein Straßenkomitee, und ein Heer von meist alten Frauen kontrolliert jede Straße. Diese Frauen hören, sehen und riechen alles und melden jede verdächtige Veränderung der Partei. Es gibt praktisch kein Privatleben; jeder wird beobachtet, jedes neue Gesicht fällt auf. Passen Sie also bei jeglicher Kritik, auch im familiären Kreis, auf – Ihr Hauspersonal hat gute Ohren. Am besten ist es, Sie nehmen alles so hin, wie es ist. Wir sind geduldete Gäste in diesem Land und sollten uns nicht in die inneren Probleme Chinas einmischen. Mao ist fast ein Halbgott … Aber das werden Sie ja noch merken.«
Für Dr. Pohland war die Politik kein Thema. Er baute an der Universität ein Institut für Immunologie auf, zu dessen Direktor er ernannt wurde. Zhou Enlai begegnete er dreimal persönlich, und der zweite Mann der Volksrepublik sprach mit ihm in deutscher Sprache und schwärmte von seiner Studentenzeit in Heidelberg.
Was Pohland nicht übersehen konnte, da er es hautnah erlebte, war die ›Große Proletarische Kulturrevolution‹, die im August 1966 mit einer Massenkundgebung von Rotgardisten, der Anbringung der ersten Wandzeitungen und der Verkündung von Maos entsetzlicher Devise begann, die lautete: ›Ohne Zerstörung kann es keinen Aufbau geben!‹ Die Rotgardistenverbände marschierten, die ›kleinen Generäle Maos‹ gingen an die Ausrottung der Intelligenz und die Zerstörung der alten Kulturgüter, Professoren, Lehrer, Ärzte wurden verhaftet, gefoltert und zu Tode gequält. Im November 1966 meldete das Zentralkomitee der Partei seinem Vorsitzenden Mao stolz, daß dreizehn Millionen Rotgardisten zur Säuberung Chinas von Kapitalisten, Intellektuellen und nach Westen schielenden Abtrünnigen angetreten seien.
Aber noch fehlte das geistige Fundament. Mao schuf es mit seinem Roten Buch, einer Sammlung seiner revolutionären, kommunistischen Ideen. Im Dezember 1966 verkündeten alle Zeitungen und Wandzeitungen bis ins letzte Dorf, daß Maos Rotes Buch Pflichtlektüre jedes Chinesen sei. Von diesem Tag an lebte ein Milliardenvolk nach den Sprüchen des Großen Vorsitzenden.
Die Säuberungen durch die Rotgardisten kannten keine Grenzen mehr. Von April bis August 1967 ertrank China im Chaos, in Blut und Plünderungen, vor allem aber entglitt Mao die Macht über die fanatisierten Massen seiner
Weitere Kostenlose Bücher