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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Beijing?«
    »Es ist Chinas beste Universität. Die berühmtesten Ärzte lehren dort. Es ist eine Ehre, Student in Beijing zu sein.«
    »Und wenn ich mich weigere?« schrie Jian plötzlich auf. »Wollt ihr mich in Fesseln nach Beijing schleppen? Ja, ich weigere mich! Ich weigere mich! Ich bin ein freier Mensch!«
    »Du bist ein Student, dessen Studium der Staat bezahlt. Das Volk bezahlt es, mit seiner Hände Arbeit. Du bist dem Volk verpflichtet, ein guter Arzt zu werden. Willst du dein Volk verraten?« Tongs Stimme bebte vor Ergriffenheit und seelischer Qual. »Du bist ein Teil der Hoffnung dieses Volkes. Ist die Tochter eines Miao-Lehrers es wert, daß du dein Volk enttäuschst?«
    Durch Jians Körper ging ein Ruck. Er hob den Kopf hoch empor und sagte mit fester Stimme: »Sie ist mir lieber als jeder Mensch auf dieser Erde. Nimm zur Kenntnis, Vater: Ich weigere mich, nach Beijing zu gehen.«
    »Dann wirst du von der Liste gestrichen und nie Arzt werden. Dann kannst du mit Lida hinter deinem Büffel pflügen und auf den Märkten Kohl verkaufen. Du wirst nie wieder einen Studienplatz bekommen.«
    »Ich werde in London, Paris oder München studieren, in Amerika oder Australien – die Welt hat genug Platz für mich! Und Lida nehme ich mit.«
    »Ihr werdet keine Ausreisegenehmigung bekommen.«
    »Dann flüchten wir nach Rußland oder nach Vietnam und von dort in den Westen! Glaubst du wirklich, du könntest mich festhalten?«
    »Ja, mein Sohn.« Tong nickte mehrmals. »Du bist ein Tong, du bist ein Chinese, und du wirst ein guter Arzt sein. Das hält dich fest.« Tong legte Jian die Hand auf die Schulter, aber dieser schob sie weg und biß die Zähne zusammen. »In einer Woche geht dein Flugzeug nach Beijing«, fuhr Tong fort. »Wir werden alle da sein und dir nachwinken und Gottes Segen für dich erflehen. Wir werden Räucherstäbchen anzünden und Opfer zu Buddhas Füßen legen.«
    »Ich fliege nicht.« Jian sah seinen Vater an, als sähe er ihn heute zum ersten Mal. »Ihr werdet vergeblich warten. Ich fliege nicht!« Er drehte sich um, weil er den Blick seines Vaters nicht mehr ertragen konnte, rannte über die Straße, warf sich in seinen Wagen und ließ den Motor aufheulen, bevor er davonschoß.
    »Was machen wir«, fragte Wu zögernd, »wenn er sich wirklich weigert? Ich müßte ihn zur Bestrafung melden.«
    »Er wird fliegen«, sagte Tong und stieg wieder in das Auto. »Er wird mit sich selbst kämpfen und – fliegen. Ein Arzt läßt seine Patienten nicht allein.«

VI: Beijing
    Die Familie Pohland lebte seit fünfzehn Jahren in China, und Dr. Dietrich Pohland hatte es nie bereut, in das damals noch völlig verschlossene und unter einer kommunistischen Diktatur stehende Land gekommen zu sein. Seine Berufung an die Universität von Beijing als Professor für Immunologie verdankte er der Fürsprache von Ministerpräsident Zhou Enlai, der in Heidelberg studiert hatte und noch in Verbindung mit seiner geliebten Alma mater stand, so wie er auch nicht vergessen konnte, daß seine große Jugendliebe ein blondes Mädchen gewesen war, das sich nicht gescheut hatte, mit ihm Hand in Hand durch die Stadt zu gehen; zu jener Zeit war die Liebe zwischen einem Chinesen und einer Deutschen Anlaß genug, daß man die Köpfe zusammensteckte und von Unsittlichkeit sprach.
    Pohlands Doktorvater in Heidelberg war eigentlich schuld, daß Zhou Enlai auf den jungen Wissenschaftler aufmerksam wurde, denn in einem Brief war Professor Hellbrandt voll des Lobes über seinen Schüler und sagte ihm eine große Zukunft voraus. Es dauerte aber noch einige Jahre, bis Dr. Pohland ein Schreiben aus Beijing erhielt, in dem der Kulturausschuß der Universität und der Rektor selbst anfragten, ob er gewillt sei, einen Ruf an die erste Universität Chinas anzunehmen.
    Damals hatte Dr. Pohland aus guten Gründen gezögert. Er hatte die HNO-Ärztin Erika Wilhelmi geheiratet, und sie hatten ein Kind bekommen, einen Jungen, den sie Holger tauften, ein fröhliches blondes Kerlchen mit wachen blauen Augen, der nun in Maos China seinen weiteren Lebensweg gehen sollte. Es stellten sich viele Fragen, die nur die Pohlands selbst beantworten konnten, und wenn sie um Rat baten, hörten sie immer das Gleiche: Es sei ein Unsinn, in das bekannt ausländerfeindliche ›Reich der Mitte‹ zu gehen und so hinter dem Bambusvorhang zu verschwinden.
    Nur Professor Hellbrandt, jetzt emeritiert, redete Dr. Pohland zu, es zunächst mit einem Zweijahresvertrag zu versuchen

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