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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auserwähltes Paar.« Und etwas leiser fügte er hinzu: »Außerdem ist Hangyu ein reicher Mann.«
    »Lida verachtet das Geld. Wie oft habe ich mit ihr darüber schon gesprochen«, sagte Jinvan mit trauriger Stimme. »›Tochter‹, habe ich gesagt, ›wenn du Lehrerin in Kunming geworden bist, hast du großes Ansehen, ein Vorbild bist du für die Schüler, sie ahmen dich nach und tragen deine Lehren weiter in die Familien. Dein Geist hat Macht, er kann helfen, das neue China aufzubauen, so wie es sich Deng Xiaoping, Hu Yaobang und Zhao Ziyang denken, und wenn du viele Drei-Gut-Schüler ausbildest, die Politik, kommunistische Gesinnung und Sport beherrschen, wird man dich ehren und vielleicht sogar in ein Gremium berufen. Berühmt kannst du werden, du hast den großen Geist in dir.‹ Aber nein, sie lächelt nur, streichelt mir über das Gesicht, und wenn ich vor Kummer weine, tupft sie mir die Tränen aus den Augen und Falten, geht wieder hinaus auf die Felder und füttert die Enten und treibt mit Ho-ho-ho-Rufen den Büffel vor dem Pflug an. Tifei ist schon weg, er macht seinen Weg, obwohl er zu unserer Erde gehört. Lida ist zu Höherem geboren. So ganz anders ist sie als die anderen Mädchen. Wenn sie geht, ist es, als trage eine Wolke sie davon.«
    »Man muß mit ihr sprechen, immer wieder sprechen«, sagte Huang. »Nur Menschen, die miteinander sprechen, verstehen sich. Schweigen ist der Bote des Todes. Setzen wir alle Hoffnung auf den schönen Hangyu!«
    In den folgenden Tagen versuchte Huang, mit Lida über viele Dinge zu reden, nur nicht über eine Heirat oder einen Mann, dem sie Frau und Mutter seiner Kinder sein sollte. In Huili wie in allen anderen Dörfern stand man schon um fünf in der Frühe auf, nahm sein tägliches Bad im Bach, den Teichen oder auch nur in einem großen Holzkübel, wusch sich vor allem die Füße und den Unterleib, denn der Tag, den Gott einem wieder geschenkt hatte, mußte in Sauberkeit begonnen werden. Wer erst gegen sechs aufstand, war ein ›Spätaufsteher‹, wurde gehänselt und damit verspottet, er habe wohl die halbe Nacht auf seiner Frau gelegen und sei nun hohl bis auf die Knochen. Nur wenige ließen sich das sagen. Um ihre Stärke zu beweisen, stellten sie sich auf und begannen mit dem Schattenboxen, Lockerungsübungen mit Beinen und Armen und dem Oberkörper. Noch wichtiger aber war Qigong, eine uralte Atemgymnastik, die frische Luft in die Lungen pumpte, den Mief der engen Behausung herausblies und die Lunge vom Nikotin befreite.
    Der Ärger mit Lida ging jeden Morgen los. Während Huang und viele Dorfbewohner auf dem Schulplatz standen und ihre Schattenbox- und Atemübungen mit größtem Ernst und tiefster Konzentration abhielten, zog Lida sich einen Trainingsanzug an, den sie auf dem Wochenmarkt von Dayao gekauft hatte, streifte Schuhe aus weißem Leinen über die zierlichen Füße und begann zu laufen, rund um die Reisfelder auf den schmalen Pfaden, die die Terrassen voneinander trennten, rund um die Kohlfelder und die Fischteiche, mit leichtem, federndem Schritt, als mache es ihr gar keine Mühe, in dem schon heiß werdenden Morgen über den staubenden oder glitschigen Lehmboden zu traben. Ein paar junge Burschen sahen ihr von der Straße aus zu, und wenn sie an ihnen vorbeilief und unter dem dünnen Baumwollpullover ihre runden Brüste wippten, dann klatschten sie in die Hände und überschütteten sie mit Bemerkungen, wie es eben Jungen tun. Sie achtete nicht darauf, lief weiter und kehrte erst zum Haus zurück, wenn der zweite Teil der morgendlichen Zeremonie begann.
    Huang und Jinvan holten die kleinen Bambuskäfige von den Nägeln, entfernten die Abdecktücher, die nachts die Käfige schützten, und lachten, redeten und pfiffen mit den Vögeln, trugen sie zu den Bäumen, hängten sie an die Äste und lauschten dem Singen, Gurren und Piepen der buntgefiederten Freunde. Das Herz jedes Chinesen hängt an einem Vogel, oft haben alte Leute, die nur noch sich haben und denen alle Verwandten weggestorben sind, zwanzig, dreißig Rohrkäfige mit Vögeln aller Größen und Arten, mit denen sie sich unterhalten, als seien es Menschen, die jedes Wort verstehen.
    Auch Huang saß unter den Bäumen mit seinen Vögeln, lauschte ihrem Gesang und erzählte ihnen seinen Kummer mit Lida, seiner Tochter. Jinvan war ins Haus zurückgekehrt und bereitete das warme Frühstück zu. Es mußte warm sein; ein kaltes Frühstück ist kein Frühstück. Es ist eine Beleidigung des neuen Tages,
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