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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dazu?«
    Aber auch Himmelsauge wußte keine Antwort. Er schwieg, zog sich vom Gitter zurück und hockte sich mitten auf die Stange.
    »Es ist alles so anders geworden«, seufzte Huang und erhob sich von seinem Schemel. »Tifei ist in der Stadt und fährt Lastwagen, und Lida will keinen Mann und keine Kinder. Was wird aus unserer Erde? Ich bin ein armer Mensch.« Er holte den Käfig vom Baumast, trug ihn zum Haus zurück, hängte ihn an den Nagel neben der Tür und ging in das große Zimmer.
    Jinvan war bereits damit beschäftigt, das Mittagessen zuzubereiten.
    »Was gibt es?« fragte Huang und schnupperte in die Luft.
    »Geschmorte Auberginen.«
    Huang staunte. »Haben wir ein Fest, Frau?«
    »Ja, Mann.«
    »Welches denn?«
    »Tifei hat heute Geburtstag.«
    »Und er ist nicht hier bei seinen Eltern. Welch ein Jammer! Welch ein Jammer!« Huang verließ wieder das Haus. Die frische, wenn auch warme Luft tat ihm gut, im Haus wäre er jetzt erstickt. Tifei hat Geburtstag, und nicht einmal ein Brief war gekommen, seit Wochen nicht, nicht mal eine Karte mit dem kurzen Satz: »Mir geht es gut.« Nichts, gar nichts. Ein stummer Sohn in weiter Ferne – das martert ein Vaterherz.
    Huang war sehr traurig an diesem Tag. Nach dem Unterricht blieb er im Schulzimmer sitzen, starrte auf die Tafel, auf die er eine Rechenaufgabe geschrieben hatte, und fragte sich, was sein Leben wert sei und was er in diesem Leben geleistet habe. Hunderte von Schülern hatte er gehabt und sie Sitte und Anstand, Höflichkeit und Ehrfurcht gelehrt; sie hatten Lesen und Schreiben gelernt, Rechnen und Zeichnen, ein wenig Kunde von der Welt um sie herum und die Geschichte Chinas, die so oft mit Blut geschrieben worden war. Er hatte in seiner Sittenstrenge das Fundament allen menschlichen Lebens gesehen, und mochten in Beijing die Minister auch wechseln, die Parolen sich ändern, neue Geister von noch neueren Geistern abgelöst werden – China war ein Land der Ewigkeit, solange die Sonne scheinen würde, und diesen Glauben an die Ewigkeit Chinas sollte jeder in seinem Herzen tragen und weitergeben von Generation zu Generation.
    Erst am Abend kam Huang aus seinem Schulhaus heraus, zum Festessen zu Ehren des abwesenden Sohnes Tifei. Jinvan hatte sogar die Reis- und Sojasoßenschälchen, die Eßstäbchen und die Deckeltasse für den grünen Tee für Großvater Yuan auf den Tisch gestellt; er war heute unter ihnen, seine Seele saß mit am Tisch, und er freute sich sicherlich, daß man an ihn gedacht hatte und er dabei sein konnte.
    Huang sah Lida, seine Tochter, wieder lange an. Ich will einen Enkel, dachte er. Ich will aber nicht, wie es Tradition ist, den Mann für sie aussuchen, und als folgsame Tochter muß sie ihn nehmen, nein, das will ich nicht, sie soll ihre Kinder nicht unter Tränen bekommen und sie hassen, weil sie aufgezwungene Kinder sind, sie soll einen Mann nehmen, den sie liebt und dem sie eine gute Frau sein wird. Aber wie kann sie einen solchen Mann kennenlernen, wenn sie in Huili bleibt, wenn sie nur auf den Feldern schuftet, wenn sie mit den Enten spricht, den Kranich füttert und sogar in der Steinmühle die Steine zu staubfeinem Mehl zermalmt, um ihn in den Tofubrei zu schütten, damit er gerinnt? Und ein Fremder? Wann kommt ein Fremder nach Huili? Ab und zu fährt ein Autobus über die Straße, hoch beladen mit Säcken, Kisten, Kartons und Matten, und die Leute im Bus wollen weiter nach Dali, und so rattert der Bus ohne anzuhalten unten über die Straße und hinterläßt eine Staubwolke, und dann ist wieder Ruhe bis auf das Knattern der kleinen Dreiradtraktoren der Bauern und der Fuhrleute aus der Umgebung.
    Sie muß weg, dachte Huang, während er seinen Reis und die Auberginen aß. So schwer es mir ums Herz ist – sie muß etwas anderes sehen als die Lehmhäuser mit den Steindächern, die murrenden Büffel, die grunzenden Schweine und die schroffen rötlichen Felsen, in die man schmale Wege geschlagen hat zum Nachbardorf, das noch einsamer ist als Huili.
    Nach dem Essen, als Lida die Hühner im Hinterhof mit Maiskörnern fütterte, sagte Huang zu Jinvan: »Frau, ich habe einen Gedanken. Ich glaube, es ist ein sehr guter Gedanke.«
    »Du hast immer gute Gedanken, Mann«, sagte Jinvan ergeben.
    »Beim nächsten Markttag schicken wir Lida mit einem großen Karren voll Obst und Gemüse nach Yao'an.«
    »Der nächste große Markt ist in Nanhua, Huang.«
    »Dann eben nach Nanhua.«
    »Allein?«
    »Ganz allein.«
    »Das hat sie noch nie
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