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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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verhaftet hatte, aber man zeigte kein Interesse daran, daß dabei, als er Widerstand leistete, Maos Neffe Mao Yuanxin erschossen worden war. Wie weit weg war Beijing von dem kleinen Dorf Huili mitten in der Provinz Yunnan, im Gebirgsland von Yungu, wo die Hühner neben den Säuglingen schliefen und die dickbäuchigen schwarzen Ferkel mit dem Hofhund aus einem Napf fraßen.
    Der Lehrer Huang Keli hatte die Ermahnungen Changs in pädagogische Freiheiten umgesetzt, sie mit dem Miao-Kult vermischt und lehrte neben dem traditionellen Wissen nun auch Gedichte von Mao, und zwar so, daß jeder Schüler vier Gedichte aufsagen konnte, was alle Parteikontrolleure zufriedenstellen mußte.
    Aber es kam kein Kontrolleur mehr, und der Dorfkommunist war froh, daß man ihn nicht verprügelte, und schrieb jeden Monat seinen positiven Bericht, den er nach Kunming schickte, wo er gelesen, zerknüllt und in den Papierkorb geworfen wurde.
    Die Vergewaltigung Jinvans hatte keine Folgen. Changmin, die Uralte, die schon so viele Kinder vorzeitig aus dem Mutterleib geholt hatte, brauchte bei Jinvan nicht tätig zu werden.
    »Der Glücksgott war bei uns«, sagte Huang, und er opferte an dessen Altar eine volle Schüssel mit Äpfeln, Mandarinen und gebratenen Entenscheiben.
    Aus Lida wurde eine gute Schülerin. Sie wuchs Vater und Mutter über den Kopf, schlüpfte wie ein Schmetterling aus seiner Puppe und wurde ein wunderschönes Mädchen, das schon mit dreizehn Jahren runde, volle Brüste hatte und nur noch allein im Fluß badete, denn die Jungen stierten sie an, und in ihren Augen lag ein Glanz, den sie richtig deutete und den sie nicht mochte.
    Huang hatte die Idee, sie nach Kunming zu schicken, wo eine Tante eine Wohnung hatte und wo Lida unterkommen konnte, um eine höhere Schule zu besuchen und ebenfalls Lehrerin zu werden. Aber sie sagte: »Vater, gutes Väterchen, laß mich hier. Ich eigne mich nicht zur Lehrerin.«
    »Du bist ein kluges Kind«, erwiderte Huang. »Klugheit gehört nicht einem allein, Klugheit gehört dem ganzen Volk. Dafür haben dir die Götter die Klugheit geschenkt. Verärgere sie nicht. Ein Lehrer gilt nach dem Ende der Kulturrevolution wieder etwas in China. Deng Xiaoping hat die Gespenster Maos verjagt, sein Kommunismus ist real, der Mensch wird wieder geachtet, die alten Traditionen leben wieder auf, überall im Land beginnt ein neuer Aufbau.« O ja, er kannte sich jetzt aus mit der Politik und hatte viel gelesen und gehört. 1968 hatte Mao gefordert: »Entstädtert die Städte, das Land braucht euch!«, und dreizehn Millionen junge, fanatische Anhänger Maos zogen aufs Land, um mit ihren Händen den neuen Bauernstaat zu gründen. »Fünfzehn Millionen, Tochter, haben uns überschwemmt, und was haben sie hinterlassen? Fahnen, Spruchbänder, Wandzeitungen, Mao-Denkmäler und große Sprüche. Aber das ist vorbei. China erwacht wieder aus der Dunkelheit. Und da muß es Lehrer geben, die das verkünden. Lida, du gehst nach Kunming und studierst.«
    Und Jinvan, die Mutter, sagte: »Wir haben so sehr gelitten, Tochter, baue jetzt mit an einer Zeit, die keine Leiden kennt. Wir werden stolz auf dich sein. Das ganze Dorf, alle Miaos. Das ist deine Pflicht, Tochter.«
    Aber was half alles Reden bei einem Mädchen, das einen klugen, aber ebenso harten Kopf hatte? Lida blieb in Huili; dafür verließ Tifei, der Sohn, das Dorf. Gerade von ihm hatte der alte Huang erwartet, daß er die Felder und Reisterrassen übernahm, und als der uralte Zimmermann Huang Yuan, der Großvater, jetzt ein mit trockener Haut überzogenes Gerippe, zum Sterben kam, sagte er von seiner Maisstrohmatratze her mit seiner heiseren, hohen, zittrigen Greisenstimme zu seinem Enkel Tifei: »Verachte nicht unsere Erde. Was willst du denn werden, was willst du tun?«
    Und Tifei hatte geantwortet: »Großvater, ich werde ein Kraftwagenfahrer werden.«
    »Du bist ein Bauer.«
    »Nein. Ich werde einen großen Transporter fahren, vielleicht sogar einen Omnibus und die Menschen durch das Land bringen. Und ich werde sparen, Yuan für Yuan, bis ich mir einen eigenen Lastwagen kaufen kann, und viel Geld damit verdienen.«
    »Ein Kapitalist willst du werden!«
    »Ja.«
    »O Gott, wie ist es schwer, mit diesem Gedanken zu sterben!« Der Uralte verdrehte die Augen, hüstelte, was wie ein letztes Röcheln klang, und streckte sich aus, als läge er schon im Sarg. »Er will weg von seiner Erde. Leute will er herumfahren. Und die Felder verdorren, der Reis welkt in der
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