Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
der einem geschenkt worden ist. Kalt kann nur das gesalzene Gemüse sein oder die scharf gewürzten Hühnerzehen, der Reis muß in seinem Trog dampfen, denn der Reis glättet die Magenwände, und die Suppe, meistens auch aus vorgekochtem Reis oder Nudeln, soll die in der Nacht eingeschlafenen Lebensgeister wieder wecken. Unterdessen brutzeln im Fritieröl die dünnen Teigstangen und rumort auf dem Feuer im Deckeltopf das Dampfbrot.
    Das volle, starke Leben wird aus dem Frühstück geboren. Und es gibt keine Frau und Mutter in China, die nicht mit Freuden sieht, wie ihre Familie am Tisch oder auf dem Boden sitzt, aus den hohen Deckeltassen ihren grünen Tee schlürft, schmatzend, aber sonst schweigend das Essen hinunterschlingt, und wenn man ein Transistorradio hat, das Händler aus den Städten ihnen verkauft haben, hört man den Wetterbericht, die neuesten Nachrichten, die Werbung für Kühlschränke, Fahrräder, Mopeds, Waschmaschinen und Kameras, Dinge, die für die meisten ein Traum bleiben, und dann tönt Musik aus dem Lautsprecher, chinesische Volkslieder, aber auch schon mal ein Walzer von Johann Strauß oder Auszüge aus Beethoven-Sinfonien, vor allem das ›Lied an die Freude‹.
    Das ist dann der Augenblick, wo Huang als höflicher Mensch mit einem Rülpser kundtut, wie gut das Frühstück war, und dann geht er hinüber zum Schulhaus, inspiziert die Räume, ob der Hausmeister auch brav geputzt hat, setzt sich auf seinen Stuhl und wartet auf seine Schüler.
    An diesem Morgen bekam die Tradition einen Riß: Huang ging nicht zur Schule, sondern wartete unter dem Baum mit seinen Vögeln auf Lidas Rückkehr vom Lauf.
    »Sie kommt, meine Lieben«, sagte er leise zu seinen gefiederten Lieblingen, als Lida den Hügel herauflief. »Singt so schön wie nie, damit sie gute Laune bekommt.«
    Er setzte sich mit seinem Schemel unter seinen Lieblingsvogel, ein mittelgroßes Tier mit blutrotem Hals und Rücken, während der Bauch himmelblau strahlte, und der trug einen Namen, den Huang nicht behalten hatte, denn der Händler in Xiaguan hatte ihm einen lateinischen Namen genannt, und wer soll das behalten? Huang nannte ihn ›Himmelsauge im Morgenrot‹, und wenn er ihn so rief, plusterte er die Kopffedern auf, kam an das Bambusgitter, steckte den goldenen Schnabel durch die Stäbe und plapperte mit einer dunklen melodischen Stimme drauflos.
    Lida erreichte schwer atmend den Vater, blieb vor ihm stehen und zog den Reißverschluß ihres Trainingsanzuges auf. Ihre Brust quoll aus der Jackenritze, schweißglänzend und so voll Verlockung, daß selbst Huang einen Kloß im Hals spürte und ihn krampfhaft hinunterschlucken mußte.
    »Das Spinatfeld muß gewässert werden«, sagte sie. »Es ist zu trocken. Wir müssen es jetzt zweimal am Tag berieseln. Der Reis hat genug Wasser, und ich kann aus dem Teich viele Eimer Wasser hinauftragen zum Spinat.«
    »Das ist zu schwer für dich, Tochter«, antwortete Huang und schielte zu seinem schönen Vogel hinauf, der seinen Schnabel wieder durch die Stäbe gesteckt hatte, als wolle er gleich mitreden. »Das ist Männerarbeit.«
    »Wo ist ein Mann?«
    Huang sah sie liebevoll an. Er dachte an Jinvan, seine Frau, als sie so jung war wie Lida, und sie war damals ebenso schön und schlank gewesen und hatte ebenso feste Brüste gehabt. Er, der arme Lehrer, hatte sie bekommen, gegen den Willen ihrer Eltern, die reiche Bauern gewesen waren.
    »Du kannst es nicht mehr, Vater«, sagte Lida, und es klang nicht beleidigend, sondern ehrlich und mitfühlend. »Du hast deine Schule und deinen Blumen- und Gewürzgarten hinter dem Haus – die Felder würden dich umbringen.«
    »Es gibt genug junge starke Männer, Tochter. Sieh dich nur um!«
    »Ich mag keinen von ihnen. Keiner taugt für ein ganzes Leben.«
    »Auf wen wartest du? Auf einen Märchenprinzen? So einer verirrt sich nicht in das Dorf Huili.«
    »Ich habe Zeit, Vater.«
    »Jugend ist wie eine geschenkte Rose. Ohne Wasser verwelkt sie schnell, und wenn erst die Blüten gefallen sind, stellt keiner mehr den leeren Stengel in eine Vase. Du wirst achtzehn, Tochter.«
    »Ich weiß es.« Sie wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und von den Brüsten. »Ich gehe jetzt, Wasser tragen. Am Mittag nehme ich den Büffel für das Gemüsefeld.«
    Sie ging ins Haus, und Huang blickte ihr nach, seufzte tief auf und warf einen flehenden Blick auf seinen Lieblingsvogel. »Was soll man da tun, Himmelsauge im Morgenrot? Was sagst du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher