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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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trockenen Husten?«
    »Gegen jede Krankheit gibt es ein Mittel. Aber dazu müßte ich erst den Patienten sehen.«
    »Du sprichst wie ein Arzt.« Sie blickte ihn verwundert und mit kritischeren Augen als bisher an. »Was bist du wirklich?«
    »Ich bin Student der Medizin an der Universität Kunming. Ich heiße Tong Jian.«
    »Herr Tong«, sie befreite ihren Arm aus seinem Griff und versteckte ihn hinter ihrem Rücken, »es … es ist kein Schmerz mehr da. Ich brauche Ihre Salbe nicht. Ich … ich muß zu meinem Onkel; er wartet am Traktor auf mich. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Ich danke Ihnen.«
    Jian war ein schlanker, mittelgroßer Mann mit kurzgeschnittenen schwarzen Haaren und nur mäßig geschlitzten Augen, so wie man sie oft in den alten, vornehmen Familien der großstädtischen Han-Chinesen findet. Er hatte einen schmallippigen Mund, aber wenn er lachte, blitzten seine Zähne, und in den Augenwinkeln entstanden winzige Falten, so als ergreife sein Lachen das ganze Gesicht und breche aus jeder Pore hervor. Er trug einen hellgrauen Anzug aus einem guten Stoff und ein hellblaues Hemd mit offenem Kragen, so daß man ein Goldkettchen mit einem Medaillon um den Hals liegen sah. Die Mädchen kicherten lockend, wenn sie ihn in Kunming auf der Straße sahen, und in der Universität ging das Gerücht um, es hätten sich Studentinnen seinetwegen geschlagen, sich die Haare ausgerissen und ihre Kleider im Zweikampf zerfetzt. Aber niemand konnte sagen, daß er eine Geliebte hatte; man sah ihn immer allein oder mit seiner wunderschönen Schwester Fengxia, und wer sie zum erstenmal am Dianchi-See oder am Schwarzen-Drachen-Teich spazierengehen sah, der dachte sofort: Welch ein glückliches Liebespaar! Wie schön sind diese Menschen!
    »Ich begleite dich zu deinem Onkel. Und die Salbe schenke ich dir. Warum schüttelst du den Kopf?« Jian sah, wie sie die Lippen zusammenpreßte und bestimmt weggelaufen wäre, wenn die Menschenmenge sie nicht eingeklemmt hätte.
    »Wenn Sie mir die Salbe geben, will ich sie auch bezahlen. Und meinen Onkel sollen Sie nicht sehen; er beleidigt Ihr Auge.«
    »Hat er den trockenen Husten?«
    »Ja.«
    »Ich kann ihm helfen.«
    »Wir haben kein Geld für einen Arzt. Wir müssen uns selbst helfen. Für alles gibt es Kräuter, Wurzeln und Pflanzen. Mein Vater versteht viel davon.«
    »Er ist ein Heilkundiger?«
    »Er ist Lehrer.«
    »Ein schöner Beruf.«
    »Ein Hungerberuf.« Sie hob die Schultern, schüttelte sich das schwarze lange Haar aus dem Gesicht, wandte sich ab und tauchte in die Menge ein. Jian folgte ihr, und sie drehte sich nicht einmal um, um zu sehen, ob er ihr nachging. Damit wollte sie ihm zeigen, wie gleichgültig er ihr war und wie groß der Klassenunterschied, der sie trennte.
    Außerhalb des Marktes, in einer Ansammlung von Traktoren, Karren und Lastwagen, hockte Chang Lifu im Schatten des Anhängers, auf dem sich das türmte, was Lida eingekauft und was sie nicht verkauft hatte. Es war vor allem Kohl – das Angebot war riesig, genauso wie das der Tofublöcke, die an langen Tischen angeboten wurden. Das beste Geschäft hatten die Händler heute mit Flußkrebsen gemacht; sie waren ausverkauft. Auch die Fleischstände waren fast leer, bis auf ein paar Speckseiten und runzelige Pansen. Wie immer rieben sich die Vogelhändler die Hände, vor allem die, die Kampfvögel züchteten, mit denen man bei den Vogelkämpfen gute Gewinne erzielen konnte; die Sieger wurden für ein Mehrfaches des Einkaufspreises an Liebhaber weiterverkauft.
    Chang hatte der Hitze wegen seinen großen Strohhut neben sich liegen und kümmerte sich nicht darum, daß manche ihn mitleidsvoll ansahen, ja, dreimal warf man ihm sogar eine Münze in den Hut, als sei er ein Bettler, der sein geschundenes Gesicht zum Gelderwerb ausstellte. Beim ersten Mal wollte er protestieren und dem großherzigen Spender einen Tritt geben, aber dann besann er sich darauf, daß er nicht mehr der Kommissar Chang Lifu war, sondern ein alter Bauernknecht, den man aus Gnade durchfütterte.
    Er stand ächzend auf, als er Lida sich durch die Menge drängen sah, und winkte ihr mit beiden Armen zu. »Wo warst du?« fragte er. Dann hustete er trocken, wie er immer husten mußte, wenn er sich auch nur ein klein wenig aufregte. »Wie kann ich dich in diesem Gewühl suchen? Wir werden erst bei Mondschein zu Hause sein.« Plötzlich hielt er mit seiner Rede inne, starrte wütend an Lida vorbei und ballte die Fäuste. »Was glotzt du so?«

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