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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ihrem Schweigen. Der Mensch ist wie ein Granatapfel. Wenn er den Mund öffnet, zeigt er den Inhalt seines Herzens.«
    Und Jian entgegnete: »Es gibt auch einen anderen Spruch: ›Selbst ein Weg von tausend Kilometern beginnt mit einem Schritt.‹ Ich hoffe, ich habe diesen Schritt getan.«

III: Die Familie Tong
    Von Kindheit an war Tong Shijun ein Sonderling. Er war in einem Hause geboren und aufgewachsen, das noch dem letzten Kaiser gedient hatte. Der Großvater Tong überwachte die kaiserliche Apotheke und hatte zu jeder Zeit Zutritt zur Verbotenen Stadt; er kannte jede Konkubine und ihre kleinen Leiden.
    Die Tongs waren also eine sehr angesehene Familie, und es war keine Frage, daß Shijun, der älteste Sohn, einmal den Beruf eines Arztes erlernen würde. Doch die Revolution zerstörte alle Pläne, der Kaiser floh ins Ausland, der Bürgerkrieg zwischen der Roten Armee Mao Zedongs und der Nationalen Armee von Marschall Tschiang-kai-schek zerriß das Land völlig, und als sich die alte Familie Tong wieder zurechtfand, lebte sie in einer anderen Welt. Den Großvater Apotheker hatte man enthauptet, sein Sohn, Shijuns Vater, mußte erst die Straßen fegen und die öffentlichen Toiletten reinigen, ehe man ihn – gewisse Verbindungen waren nicht völlig abgebrochen – zum Leiter der Stadtreinigung berief, womit er in die Hierarchie der Stadtoberen von Kunming aufrückte. Der alte Wunsch konnte also wieder aufgenommen werden: Sohn Shijun studierte Medizin.
    Aber dieser Tong war, wie erwähnt, von anderer Art als seine Ahnen. Er lebte in den jahrhundertealten Überlieferungen chinesischer Feudalherrschaft, war aber andererseits auch ein überzeugter Kommunist, verehrte Mao wie einen Gottgesandten und trug die kleine rote ›Mao-Bibel‹ immer in seiner Rocktasche.
    Das änderte sich auch nicht, als gegen Ende der Kulturrevolution ein Major der bewaffneten Sicherheitspolizei mit Namen Feng Tiyun im Hause der Tongs erschien, von seinen Polizisten zuallererst die große Buddha-Statue in der Eingangshalle mit Hämmern und Äxten zerschlagen ließ und den damals zwölfjährigen Jian, der sich in kindlicher Einfalt schützend vor den Buddha stellte, wie eine junge Katze gegen die Wand warf.
    Zu Tong Shijun sagte Feng: »Du bist also ein Arzt? Siehst den armen Menschen in den Hals oder in das Arschloch und verlangst auch noch Geld dafür? Eine Kapitalistensau bist du! Wir werden dich nachher auf dem großen Platz von Kunming aufhängen. Das wird ein Volksfest werden.«
    Tong Shijun war kein Mann, den man mit Drohungen einschüchtern konnte, und er sagte, er sei Mitglied der Partei, und holte das rote Mao-Bändchen aus dem Rock. Der Major schlug ihm die heiligen Worte des Großen Vorsitzenden um die Ohren, brüllte, er sei ein Verräter, denn die neue Zeit habe längst eine andere Richtung genommen, und ließ Tong fesseln und abführen. Zu ihrem Glück waren gerade an diesem Tag Tongs Frau Meizhu und seine Tochter Fengxia nach Chengdu gefahren, woher Meizhu stammte, um den kränkelnden Großvater zu besuchen. Auch Meizhu war Ärztin, und als ihr alter Vater verlauten ließ, er komme nicht mehr über den Winter, wollte sie ihn genau untersuchen, obwohl der Alte schon drei Ärzte beschäftigte. So entgingen sie beide der Schande der Vergewaltigung, denn Fengxia war mit ihren vierzehn Jahren im richtigen Alter, einem Soldaten Freude zu bereiten.
    Auf den Straßen von Kunming ballten sich die Menschenmassen und sahen mit Grölen und Schimpfworten zu, wie die Rotgardisten und die Polizei die höheren Beamten, die Rechtsanwälte, die Architekten, die Ärzte, überhaupt jeden, den man zur Intelligenz zählen konnte, aus den Häusern holten und sie vor sich hertrieben zu einem Platz, wo schon Hunderte von Leidensgenossen auf ihr Schicksal warteten. Ein Mann in grüner Uniform, den alle General nannten, stand auf einem Podest und überblickte alles mit finsteren Augen.
    Tong Shijun und sein zwölfjähriger Sohn Jian wurden zu den Zusammengetriebenen gestoßen. Viele von ihnen kannte Tong, und sie kannten den Arzt, waren schon seine Patienten gewesen und wunderten sich, daß er, ein Mitglied der Partei, nun auch verhaftet worden war.
    »Verstehen Sie das?« fragte ihn einer. Er war der Leiter einer Textilfabrik, und man hatte ihn vom Schreibtisch weggeholt und durch die Produktionshallen getrieben, und seine fleißigen, treuen Arbeiter, die ihn immer verehrt hatten, klatschten plötzlich Beifall und spuckten ihn an und traten nach ihm.

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