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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Erde?« fragte sie. »Was wird aus unserem Land? Einen Bauern muß sie heiraten und Kinder bekommen, die auch Bauern werden. Wächst der Reis, indem man ihn besingt? Wächst der Kohl, wenn man ihm Opern vorsingt? Du hättest mehr Söhne zeugen müssen, Huang.«
    »Die zwei Geburten waren hart genug.« Huang hob lauschend den Kopf. Der Gesang war verstummt. Jetzt zog sich Lida an, sicherlich eine Hose und darüber eine weite Bluse. »Gleich kommt sie«, sagte er fast flüsternd. »Laß uns wetten: Erkennt sie dich, Chang, oder nicht?« Er hielt seine flache Hand hin. »Ich wette: Sie erkennt dich. Ich habe dich ja auch erkannt.«
    »Ich habe nichts zu verwetten«, erwiderte Chang. »Was soll ich einsetzen? Ich habe nur mein Leben.«
    »Und das will keiner.« Huang rieb sich erwartungsvoll die Hände. »Sie kommt, sie kommt!«
    Die Hintertür klappte auf, und Lida betrat den Wohnraum genauso, wie Huang es vorausgesehen hatte: in einer blauen Hose aus Leinen und einer weiten Bauernbluse. Die nassen Haare hatte sie hochgesteckt, und es sah aus, als trüge sie ein geflochtenes Türmchen auf dem Kopf. Auf der Türschwelle blieb sie stehen, als habe man sie von hinten an der Bluse festgehalten. Chang zog den Kopf zwischen die Schultern; ihm war, als brannten von neuem die Narben in seinem Gesicht, als spüre er die Glut der Zigaretten und das brandige Zischen, als man sie auf seinen Wangen zerdrückte.
    »Chang Lifu«, sagte Lida, und ihr Blick war starr vor Staunen und Entsetzen. »Kommissar Chang.«
    »Nicht mehr Kommissar – ein zerschlagener Krüppel ist gekommen.« Chang schluckte mehrmals, ehe er weitersprechen konnte, denn sein Hals war wie zugeschnürt. »Du bist groß geworden«, sagte er endlich. »Groß und schön. Wie die Jahre dahinfliegen, als ritten sie auf einem Drachen! Ich sehe dich noch immer, wie du vor mir hergelaufen bist, den Hügel hinauf, und ich hätte dich fast mit meinem Knüppel erschlagen, weil du gesagt hast: ›Du stinkst!‹«
    »Das haben Sie auch. Nach Schnaps.« Lida kam näher, begrüßte den Gast mit einer leichten Verneigung und setzte sich an den Tisch, auf dem der Suppentopf dampfte mit dem Kohl, dem Tofu und dem Hühnerfleisch. Der gesottene Hammelkopf lag in einer besonderen scharfen Brühe.
    Sie aßen schweigend. Ab und zu warf Jinvan einen Blick auf Chang, der sich vollstopfte, den Reis in sich hineinschaufelte und jeden Hühnerknochen abnagte, als habe er bisher nur von den Abfällen der Garküchen an den Straßen gelebt. Selbst den alltäglichen Tofu genoß er wie Lotusknospen, und als er endlich satt war, legte er beide Hände auf seinen Leib und sagte zufrieden: »Mein Magen wird eine eigene Revolution beginnen – so viel hat er in den letzten zehn Jahren nie bekommen.«
    Nach dem Essen rauchte Huang seine Pfeife mit dem selbstgezogenen Tabak; es war für ihn der würdige Abschluß eines gut gelebten Tages. Dazu trank er ein Gläschen Reisschnaps, den der Nachbar selbst brannte und in Flaschen aus gebranntem Ton abfüllte.
    Bis spät in den Abend hinein erzählte Chang dann von seinem Leben, von seinem Abstieg vom Kommissar zum Bettler; er hatte sogar sein Parteibuch zerrissen und verfluchte jetzt Mao als den größten Hirnvergifter aller Zeiten.
    »Du hast deine Macht auch genossen«, sagte Huang, als Chang eine Pause einlegte. »Wie hast du mich behandelt! Über die Erde mußte ich kriechen und Mao-Sprüche schreien!«
    »Ich habe damals an die Kulturrevolution geglaubt. Millionen haben daran geglaubt, und plötzlich, mit Maos Tod, ist alles falsch gewesen. Über Nacht waren Maos Helden die Feinde des Volkes – wer soll das so schnell begreifen? Mein letztes Kommando war: ›Abrücken! Jeder geht jetzt nach Hause!‹ Und sie gingen, meine Rotgardisten, aber nicht nach Hause. Sie stürzten sich auf mich und schlugen mich zum Krüppel. Da habe ich begriffen, daß der Mensch nur ein hohles Gefäß ist, in das man hineinschütten kann, was man mag; er säuft es und handelt danach, bis jemand anderer kommt, Neues in ihn hineinfüllt, und er frißt auch das. Das unvollkommenste aller Geschöpfe ist der Mensch. Er kann alles werden, weil er nie ein fertiges Wesen sein wird. Das habe ich von der Revolution gelernt, Huang. Jetzt beobachte ich die Welt.«
    »Das kann ich dir sagen, Chang«, rief Lida, den Alten ebenfalls duzend, bevor Huang eine Antwort auf den Lippen hatte, »du bleibst hier bei uns, solange du willst.«
    »Und dann wird eines Tages Tifei aus Kunming kommen und

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