Der Jade-Pavillon
kurzen Nicken und verließ den Wohnraum. Erstaunt, mit zusammengezogenen Augenbrauen, sah Wu ihm nach. Er empfand es als Unhöflichkeit zu gehen, wenn ein Mann sich vorstellte, um in den Kreis der Familie aufgenommen zu werden.
»Sieh daran vorbei«, sagte Fengxia zu Wu. »Er ist anders als wir alle. Wir haben uns daran gewöhnt. Aber er wird einmal ein guter Arzt sein. Seine Lehrer loben ihn. Er sei der Beste, sagen sie.«
War es gestern, und nicht zehn Jahre später, daß Wu und Fengxia ihre Verlobung feierten, im Garten des Hauses Tong ein großes Feuerwerk abgebrannt wurde und als Gäste die höchsten Parteifunktionäre von Kunming an den niedrigen Tischen saßen und ein Festmahl einnahmen, das aus fünfzehn verschiedenen Speisen bestand, an denen sechs Köche arbeiteten, und daß jeder, der am Hause Tong vorbeiging, die Köstlichkeiten roch und in den Innenhof kam, mit Gebäck beschenkt wurde und ein Gläschen Schnaps leerte? War es erst gestern, daß Tong feierlich zu Wu und seiner Tochter Fengxia sagte: »Ihr habt versprochen, ein Paar zu werden. Feiern wir dieses Versprechen!«
Meizhu, die Mutter, trat vor das Brautpaar, hielt in den Händen zwei aus Silber getriebene, mit einem roten Seidenband zusammengebundene Becher, und Tong goß gelblichen, mit einem leicht grünschimmernden Ton leuchtenden Wein ein, und Wu und Fengxia nahmen die Becher in die Hand, kreuzten ihre Arme und tranken den Wein, und ihre Blicke waren voll Liebe und Verlangen.
Dann tranken die anderen Gäste; nur Jian rührte keinen Wein an, prostete auch nicht dem Brautpaar zu, sondern stand im Hintergrund und ging dann ins Haus.
Fengxia folgte ihm, sah Jian in einem Sessel sitzen und eine Tasse Tee trinken. »Was bist du?« schrie sie böse. »He, was bist du? Mein Bruder? Nein, ein Büffel bist du, ein Büffel! Was hat dir Junghou getan, daß du ihn so beleidigst? Ich liebe ihn!«
»Das ist deine Sache«, sagte Jian ruhig.
»Er wird dein Schwager sein.«
»Ich werde es hinnehmen.«
»Ah, ich weiß, was dich an ihm stört. Ich weiß es! Du würdest ihn wie einen Bruder umarmen, wenn er nicht Funktionär der Partei wäre!« Sie stampfte auf, als sei sie eine Bäuerin, die Körner aus den Ähren tritt. »Und er wird noch höher emporsteigen, in Beijing steht er auf der Liste der Genossen, die gefördert werden und … und …«
»Noch mehr?« fragte Jian spöttisch.
Fengxia ballte die Fäuste und hielt sie ihrem Bruder entgegen. »Ja! Noch mehr!« schrie sie. »Ich werde Mitglied des Zentralkomitees von Yunnan werden.«
»Ich wußte nicht, daß das Chemiestudium verrückt macht«, sagte Jian noch spöttischer. »Aber vielleicht machen das die giftigen Dämpfe, die du im Labor einatmest.«
»Du Reaktionär! Eines Tages wird man dich erschießen! Aber Wu kann dich davor schützen.«
»Ich schütze mich allein.« Jian zeigte auf die Tür. »Geh, deine Gäste warten. Sei nicht unhöflich. Es genügt, wenn es einer in unserer Familie ist.«
»In welcher Zeit lebst du eigentlich?«
»Ich warte auf meine Zeit«, sagte Jian.
»Und wie soll sie aussehen?«
»Freiheit.« Nur dieses eine Wort sprach Jian aus, aber es klang, als sei es der Abschluß einer langen Rede.
»Wir sind frei, nur du hast dich selbst gefesselt mit deinen reaktionären Gedanken.« Fengxia ging zur Tür, blieb dort stehen und drehte sich zu ihrem Bruder um. »Du kommst nicht mehr zu meinem Fest?«
»Nein. Sage Wu, daß ich noch für die Universität arbeiten muß.«
»Er wird das nicht verstehen.«
»Das glaube ich. Er kennt die Universität nur von außen, darum ist er auch ein Funktionär der Partei geworden!«
»Ich hasse dich, Jian! Ich hasse dich!«
»Danke. Mir ist das lieber, als wenn du mich liebtest.«
»China wird immer kommunistisch bleiben und nie kapitalistisch werden!«
»China nennt sich das ›Reich der Mitte‹. Und so werden wir einen Mittelweg finden.«
Nach dem Feuerwerk gingen die meisten Gäste nach Hause. Auch der Bräutigam Wu verabschiedete sich, dankte Tong für die schöne Feier, verneigte sich höflich vor Meizhu, der Brautmutter, und stieg in sein Auto, das ihm, dem Funktionär, die Partei zur Verfügung gestellt hatte.
Nach Wus Wegfahrt kam Jian zur Familie zurück, die im großen Wohnraum das letzte Glas Wein trank.
»Du warst unhöflich, mein Sohn«, begann Tong sofort das Gespräch.
»Wu hat den bösen Blick«, antwortete Jian.
»Den siehst nur du!« schrie Fengxia so laut, daß Onkel Zhang Shufang aus Dali, der
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