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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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abschneiden?« fragte der Fleischer irritiert.
    »Wir haben schon eingekauft.« Tong legte beide Hände auf die Schultern Jians. »Mein Sohn hat gestern bei Ihnen ein Stück Schweineschulter gekauft, aber er hat vergessen, Ihnen das Geld dazulassen. Ich möchte das nachholen. Was schulden wir Ihnen außer der Bitte um Milde und Verzeihung?«
    Der Fleischer starrte Jian an, dann Tong, wischte sich über das Gesicht und dachte sich dabei, daß es doch noch ehrliche Menschen gab, daß sogar der Vater eines Diebes kam und die gestohlene Ware bezahlte, daß dieser Vater auch noch ein gelehrter Mann, ein Arzt aus dem Krankenhaus und voll Demut wegen seines Sohnes war und sich für ihn schämte. Er dachte dabei auch an seinen eigenen Sohn, der in Kunming ein Fahrradtaxi fuhr und der, wenn er Ausländer durch die Stadt fuhr, sie ab und zu betrog, indem er den dreifachen Preis verlangte und – wenn sie in Dollar zahlten – einen Wechselkurs errechnete, der ihm sogar das Vierfache einbrachte.
    »Wie soll ich rechnen, wenn ich das Gewicht nicht weiß?« fragte der Fleischer. »Man kann nur raten.«
    »Einigen wir uns!« Tong griff in seinen Rock und holte ein Bündel Geldscheine hervor. »Nennen Sie einen Preis, ich zahle ihn.«
    »Ich könnte Sie damit übervorteilen, verehrter Herr Arzt. Ich bin ein ehrlicher Mensch und …«
    »Betrachten Sie es als unsere Reue.« Er nahm Jians Hand, legte die Geldscheine hinein und stieß ihn vor die Tischkante. »Bezahle!« sagte er dabei streng.
    Jian schluckte mehrmals; es war ihm, als hänge er in einem Würgegriff, und er reichte dem Fleischer die Geldscheine. Als dieser sie nicht sofort annahm, legte er sie auf den Tisch unter den an Haken an einer Eisenstange hängenden Fleischstücken.
    »Das ist zu viel«, sagte der Fleischer. »Viel zu viel. Dafür bekommen Sie fast ein halbes Schwein.«
    Tong Shijun gab keine Antwort mehr. Er faßte Jian wieder bei den Schultern, schob ihn vor sich her und verließ den Fleischstand. Er hatte seine Ehre wieder.
    »Was hast du gelernt?« fragte er seinen Sohn, als sie außerhalb der Marktreihen wieder auf der Straße standen.
    Jians Lippen verkrampften sich, und er antwortete: »Man muß ehrlich bleiben, auch wenn man daran verreckt.«
    »Du hast während der Revolution eine ungute Sprache gelernt«, sagte Tong sehr ernst. »Aber das wird sich ändern. Ein neues China entsteht mit einem neuen, weltoffenen Kommunismus.«
    »Du … du bleibst ein Kommunist?« fragte Jian.
    »Ich hatte nie etwas anderes im Sinn.«
    »Trotz allem, was wir gesehen haben, was wir am eigenen Leib erfahren haben?«
    »Leben heißt sich stets erneuern, aber die Tradition bewahren. Wir lernen die Weisheit unserer Ahnen, mein Sohn, und streben dennoch einem neuen Denken entgegen. China ist ewig wie unsere Erde, nur die Menschen verändern sich. Auch der Kommunismus erneuert sich, und ich will mithelfen, daß die beiden Lehren, die alte und die neue, zusammen einen guten Klang bekommen. Wenn du älter bist, wirst du das verstehen und auch ein Kommunist sein.«
    »Ich weiß es nicht, Vater … Vielleicht bin ich wirklich noch zu jung dazu.«
    »So ist es, mein Sohn.« Tong Shijun legte den Arm um Jians Schultern. »In zehn Jahren erkennst du die Welt nicht wieder. In zwanzig Jahren wird sie wieder anders aussehen und du mit ihr. Wer kann in die Zukunft blicken? Wir sind Chinesen, mein Sohn, und wir glauben an die Unsterblichkeit, an die Ewigkeit. Und jetzt, Jian, gehen wir zu Xiao Ming und trinken einen Schnaps und ein Bier. Du stehst an der Grenze zum Mann …«
    Jahre können wie Schneeflocken sein – sie zerschmelzen in der Hand, und wenn man sich erinnert, stellt man staunend fest: Was, fünf Jahre ist das her? Mir ist es so nah wie gestern.
    War es gestern, daß Tong Shijun erst Oberarzt und dann Chef der Klinik wurde? War es gestern, daß man ihn zum Professor ernannte, ihm einen Lehrauftrag für Innere Medizin erteilte und seine zwei medizinischen Bücher als Lehrstoff an allen chinesischen Universitäten eingeführt wurden? War es gestern, daß Fengxia, die Tochter, um die Erlaubnis bat, einen Mann im Elternhaus vorstellen zu dürfen, und es erschien in einem grauen Anzug mit hochgeschlossener Jacke Wu Junghou, und Fengxia sagte voll Stolz: »Junghou ist Funktionär der Kommunistischen Partei. Er ist der stellvertretende Leiter der Gesundheitsabteilung.«
    Jian – er war jetzt zweiundzwanzig Jahre alt und studierte Medizin in Kunming – begrüßte Wu mit einem

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