Der Jade-Pavillon
geblieben war, vor ihrer schrillen Stimme zusammenschrak. »Er mag dich auch nicht.«
»Das ist auch die einzige Übereinstimmung zwischen uns beiden, und dabei soll es bleiben.«
»Was wirfst du Wu vor?« fragte Onkel Zhang.
»Er sitzt seinen Parteibonzen im Hintern.«
Fengxia wurde rot und blaß, in schnellem Wechsel, was ihre große Erregung verriet. Tong runzelte die Stirn; das war eine Sprache, die in seinem Hause noch nie zu hören gewesen war. Auch Meizhu sah ihren Sohn entsetzt an; nur Onkel Zhang nahm es mit weiser Geduld hin.
»Wir werden so schnell wie möglich heiraten«, sagte Fengxia mit einem Zittern in der Stimme. »Ich will nicht länger unter einem Dach mit einem solchen Bruder leben.«
»Das Haus deiner Eltern besteht nicht nur aus Jian«, entgegnete Tong. »Es ist ein ehrbares Haus.« Und zu Jian gewandt fuhr er fort: »Entschuldige dich bei deiner Schwester, mein Sohn.«
Jian schwieg. Er war nicht mehr der zwölfjährige Junge, der auf dem Markt ein Stück Schweineschulter gestohlen hatte und sich voll Demut dafür entschuldigen mußte. Das lag zehn Jahre zurück, und wenn er auch immer der Sohn seines Vaters blieb und ihm Ehrfurcht zollte, gab es doch einen Unterschied zwischen Kindheit und Erwachsensein.
»Nein!« sagte er endlich, als er sah, daß alle auf seine Antwort warteten. »Es gehört zu meinem Gesicht, Wu nicht zu mögen. Soll ich mein Gesicht verraten und verlieren?« Er sah seinen Vater mit gekräuselter Stirn an. »Wenn du es erlaubst, Vater, werde ich in Chengdu oder Shanghai weiterstudieren.«
»Ich erlaube es nicht.« Tong erhob sich und überblickte seine Familie. »Es ist sehr spät, wir sollten jetzt schlafen gehen. Ein Schlaf kann reinigen. Sprechen wir morgen darüber weiter. Heute zerfließen die Gedanken.« Er nickte allen zu und verließ den Raum.
Die anderen blieben stumm zurück, bis Onkel Zhang sagte: »Jeder Mensch ist ein Rätsel für sich, und jeder löst es anders, und ich glaube, die Welt bräche zusammen, wenn es nicht so wäre.«
Dann war es still in dem großen Haus. Jeder lag auf seiner Bettstatt und wälzte sich auf ihr mit seinen eigenen Gedanken, und Tong sagte zu seiner Frau Meizhu: »Ich liebe beide Kinder gleichermaßen, aber sie hassen sich und werden sich noch zerfleischen. Frau, was sollen wir tun?«
Und Meizhu antwortete: »Shijun, es wird kommen, wie es kommen muß. Wir können nicht am Schicksal drehen – es dreht uns.«
»Das ist Fatalismus, Meizhu.«
»Ist es nicht auch Tradition?«
Tong nickte und drehte sich auf die Seite. Er wunderte sich, wie klug seine Frau doch war, und war sehr stolz auf sie.
Jian studierte nicht in Chengdu weiter, sondern blieb in Kunming, selbst dann noch, als ein Jahr später Fengxia und Wu heirateten, das Haus verließen und in eine Wohnung in einem modernen Häuserblock zogen, den die Partei für ihre Funktionäre gebaut hatte. Fengxia, mit dem Chemiestudium fertig und mit einem guten Diplom ausgestattet, erreichte mit Wus Hilfe, was sie Jian vorhergesagt hatte: Sie wurde Mitglied des Zentralkomitees von Yunnan und erlangte damit das Recht, ihre eigene Familie zu überwachen, so wie Wu Junghou Leiter der Gesundheitsabteilung geworden war.
Einen ›Affen, der einen Tiger spielt‹ nannte Jian ihn, aber Tong entgegnete: »Wir haben für das Krankenhaus ein ganz modernes Ultraschallgerät bekommen. Ein Gerät aus Deutschland. Wus Fürsprache hat es möglich gemacht. Ich werde jetzt meine Ärzte an dem Gerät ausbilden. Das nächste, was wir bekommen sollen, ist als Vervollständigung der Ultraschalldiagnostik ein Sonograph, der uns ein Impulsechoverfahren erlaubt. Wir können dann ohne die belastenden Röntgenstrahlen Veränderungen im Inneren des Körpers feststellen. Ohne Wu hätten wir die Geräte nie bekommen.« Tong sah, daß sein Sohn wenig beeindruckt war. »Du wirst bald selbst ein Arzt sein«, sagte er. »Dann gilt dein Denken nur den Kranken und nicht den eigenen Empfindungen. Um ein guter Arzt zu sein, genügt nicht ein Medizinstudium mit einem guten Examen – dein Herz muß bei den Kranken sein, ihr Vertrauter mußt du werden, dem sie das Geheimste von sich anvertrauen, denn viele Krankheiten kommen von der Seele und brauchen keine Pillen oder Tropfen. Aber so etwas lernt ihr ja nicht auf der Universität. Ihr werdet ausgebildet wie ein Automechaniker, der einen Motor repariert, der Patient ist eine Maschine, die irgendwo stockt und deren Fehler ihr entdecken müßt; aber es sind Menschen,
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