Der Jade-Pavillon
kann ich nicht im Haus sein.«
»Zhang hat nicht ein Wort gesagt, daß du sein Gast bist.«
»Warum sollte er darüber mit einem fremden Besucher sprechen?« Jian setzte sich seinem Vater gegenüber an den Tisch und sah ihn herausfordernd an. »Hast du diesen Mann als deinen Spion zu Onkel Zhang geschickt?«
»Hast du ein schlechtes Gewissen, daß du so etwas denken kannst?«
»Ich bin ein paar Tage herumgereist. Nach Lijiang, zum Diancang Shan, nach Dukou, zu den Höhlen des Steinglockenbergs.« Jian legte die geballten Fäuste in den Schoß und starrte seinen Vater geradezu feindselig an. »Wie sollte ich deswegen ein schlechtes Gewissen haben?«
»Wer einen Spion in seinem Rücken vermutet, muß etwas zu verbergen haben.« Tong beugte sich über den Tisch, löffelte Nudelsuppe in seine Eßschale und begann mit dem Frühstück. »Du hast einen starren Blick, mein Sohn.«
»Mir gefällt nicht, daß du mit mir wie in einem Verhör sprichst.«
»Mich treibt eine große Sorge, Jian.« Tong schob die Eßschale von sich weg, als sei die Nudelsuppe verdorben. »Ich hatte Zeit zum Nachdenken. Beantworte mir bitte eine Frage: Hast du Verbindungen zu reaktionären Kreisen?«
Jian atmete auf. Die Gedanken seines Vaters beschäftigten sich mit den nur vorsichtig geäußerten Ideen einer Gruppe Studenten, vor allem an der Universität von Beijing, die sich für mehr Demokratie in China einsetzten. In Kunming wucherten die Gerüchte, aber keiner wußte etwas Genaueres. Das Wort Demokratie war ein Importartikel aus dem westlichen Ausland, ein Schlagwort des Kapitalismus, für den man nur Verachtung empfand.
»Nein«, sagte Jian mit Nachdruck. »Ich kenne keine Reaktionäre.«
»Ihr habt keine heimlichen Treffs?«
»Mit wem soll ich mich treffen, wenn ich niemand kenne?«
»Deine Antwort bringt wieder Ruhe in mein Herz.« Tong betrachtete seinen Sohn mit forschendem Blick. »Wir sind eine alte Familie, die es in den vergangenen Jahrhunderten immer geschafft hat, eine verständige Anpassung an die bestehenden Verhältnisse zu finden.«
»Bis hin zu meiner Schwester Fengxia, die eine Parteifunktionärin ist.«
»Das klingt wie eine Anklage.«
»Ich verachte jeden intelligenten Menschen, der Nutzen aus dem Zeitgeist zieht.«
»Dann trifft deine Verachtung auch mich?«
»Du bist mein Vater.«
»Und ich bin ein Kommunist. Ich bin Mitglied der Partei. Ich bin es geworden, weil ich Nutzen daraus ziehen kann. Nutzen für meine Kranken. Das Ultraschallgerät, die neue Röntgenanlage, die Erweiterung des Krankenhauses um hundert Betten – ist das nicht ein Erfolg? Ohne die Partei wären wir wie ein Stein in einem ruhigen See gewesen; jetzt bewegt sich das Wasser, und der Stein taucht als eine Insel auf.«
»Aber das Traditionsdenken der Tongs wird nicht berührt.« Jian erhob sich von seinem Stuhl, ohne das Frühstück angerührt zu haben. »Hast du mit Qian Fang wegen Yanmei gesprochen?«
»Nein, noch nicht.«
»Warum nicht, Vater?«
»Ich lebe in der Hoffnung, daß du deinen Sinn noch änderst.«
»Es ist eine nutzlose Hoffnung. Ich werde Yanmei nie heiraten.«
»Aus welchem Grund?«
»Vater, wir haben schon genug darüber gesprochen. Ich habe die Absicht, mir meine Frau selbst auszusuchen und mich nicht willenlos verheiraten zu lassen. Hat man dir damals Mutter auch zugeteilt?«
»Welch ein Wort! Deine Mutter Meizhu gehört zu den großen Familien. Sie wurde mir versprochen, als sie noch als Kind im elterlichen Garten Blumen zu Girlanden flocht.«
»Und sie hat an deiner Seite ihr Glück gefunden?«
»Ich habe aus ihrem Mund nie eine Klage gehört.«
»Weil es die Tradition verbietet, daß eine Frau über ihren Mann klagt. Sie ist eine Untertanin, die willig Kinder gebiert.«
»Jian!« Tong sprang auf und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Du sprichst von deiner Mutter!«
»Ich rede von dem Recht der Frau in China. Sie hat nie Rechte gehabt. Der Männlichkeitswahn hat nie geduldet, daß die Frauen eine eigene Meinung hatten. Sie hatten vom frühen Morgen bis zum späten Abend zu arbeiten, und in unseren Kreisen hatten sie nur schön zu sein.«
»Deine Mutter hat studiert wie ich. Sie ist Ärztin.«
»Hat sie als deine Frau jemals die Möglichkeit gehabt zu praktizieren? Sie war immer nur die vornehme Frau Tong, die hochwohlgeborene Zhang Meizhu, und ihr Mann, der berühmte Tong Shijun, wurde sogar Kommunist, um diese Tradition zu schützen. Das ist nicht meine Welt, Vater.«
»Und wie siehst du deine
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