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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gebüßt.« Chang atmete heftig, und seine verkrampften Finger verloren alle Farbe, so preßte er sie ineinander. »Vier von ihnen habe ich stellen können, da sie an mich verraten wurden. Ich habe sie getötet, habe sie mit einem Beil zerstückelt, habe die Fleischbrocken auf den Straßen ausgestreut, habe meine Schuld begriffen und bin aus dem Wahn erwacht, Gutes für Mao getan zu haben. Das war das Ende des Kommissars Chang Lifu.«
    »Und dann?«
    »Dann bin ich geflüchtet.« Chang schloß die Augen. Seine Stimme war leiser und hohler geworden, und jeder Atemzug war ein Rasseln in seiner eingefallenen Brust. »Jetzt sterbe ich«, sagte er ganz leise. »Ich spüre die Kälte. Die Ewigkeit öffnet sich vor mir.«
    Huang sah ihn schweigend an, und wie er so auf dem Rand des Sarges saß und Chang betrachtete, merkte er am Ende nicht, daß Chang auf einmal keinen Atem mehr hatte; er war lautlos, ohne eine Bewegung, ohne ein äußeres Zeichen gestorben. Erst als sein Mund aufklappte und der Unterkiefer herunterfiel, erkannte Huang, daß Chang tot war.
    Er bückte sich, nahm ein Holzscheit vom Boden, drückte es gegen das Kinn des Toten und schloß dessen Mund. Dann ging er aus der Hütte, sah Lida aus dem Haus kommen und sagte, bevor sie fragte, warum er nicht zum Frühstück komme und wo Chang bleibe: »Er ist tot.«
    Er ging weiter, während Lida an ihm vorbeilief und in den Anbau stürzte, und hörte, wie sie laut schluchzte. Er sah Jinvan kurz an, setzte sich an den Tisch, zog den Teller mit der Reissuppe zu sich heran, griff nach dem Dampfbrot und begann zu essen.
    »Chang ist tot«, sagte er nur, und als er in Jinvans Augen Tränen sah, fügte er hinzu: »Er war nicht wert, daß du um ihn weinst, aber er ist es wert, daß Lida um ihn trauert.«
    Um acht Uhr begann die Schule. Es war ein Tag wie jeder andere, nur der Sargdeckel war über den Sarg gelegt und schloß Chang endgültig von der Welt ab.
    Es dauerte sechs Wochen, bis Tong Shijun seinen Oberarzt beauftragte, ihn vier Tage zu vertreten. Die geplante Fahrt zu Onkel Zhang konnte stattfinden.
    Mit Jian hatte Tong nur wenig sprechen können. Man sah sich zu den Mahlzeiten, die Gespräche zogen sich wie ein zäher Brei dahin, und kaum war das Essen beendet, begab sich Jian in sein Zimmer und beugte sich über seine Vorlesungsnotizen und seine medizinischen Bücher.
    An Lida hatte er bereits zehn Briefe geschrieben, aber er hatte sie nicht zur Post gegeben, denn was er ihr geschrieben hatte, war ein Himmel voll Sehnsucht und Verlangen. Es wäre ihm unangenehm gewesen, wenn auch Huang diese Briefe gelesen hätte, denn sicherlich hätte er Lida aufgefordert, ihm diese Briefe zu zeigen, die nicht heimlich kommen konnten, da Huang die Post in Empfang nahm.
    Das Schicksal ist oft zu bösen Scherzen bereit, und so war es wirklich einer, daß am frühen Morgen dieses Tages Tong Shijun in einen Kleinbus kletterte und sich nach Dali fahren ließ und daß am Mittag, nach der Vorlesung, Jian sich in seinen Wagen setzte und gleichfalls den Weg nach Dali nahm. Erst, als ihr Sohn am Abend noch nicht zu Hause war, ahnte Meizhu, was geschehen war. Aber sie hatte keine Möglichkeit, ihn zu warnen. Zhang Shufang besaß kein Telefon und hatte sich auch nie darum bemüht. Es wäre undenkbar gewesen, daß man eine Telefonleitung zu einer Hütte im Schilf des Erhai-Sees gezogen hätte. »Das Telefon macht einen Sklaven aus dir«, hatte Zhang einmal gesagt. »Jeder kann dich belästigen und dir wertvolle Zeit rauben. Ich weiche allem aus, was mir Unfreiheit bringt.«
    Jetzt hätte ein Telefon vieles verhindern können, und Meizhu lief voll Verzweiflung im Haus umher, kniete vor dem vergoldeten Buddha des Hausaltars nieder und flehte die Gottheit an, es zu keiner Katastrophe kommen zu lassen.
    Onkel Zhang überfiel eine solche Überraschung, als plötzlich Tong vor seiner Tür stand und gegen das Holz klopfte, daß er zunächst nichts sagen konnte als: »Guten Tag« und: »Sei willkommen!« Aber dann, als er sich gefaßt hatte, klopfte er Tong auf die Schultern, faßte seine Hand, schüttelte sie und rief voller Freude: »Lebst du immer noch? Bist du noch nicht tot?«
    Die Frage hatte ihre Berechtigung, besonders in diesem Fall, auch wenn es nur eine der üblichen Höflichkeiten unter Verwandten war. Zhang hatte Tong über zwei Jahre nicht gesehen oder gesprochen, auch Briefe waren nicht verschickt worden; die einzige Verbindung zwischen ihnen war immer Jian gewesen, und außer einem

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