Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Gruß hatte man sich nichts zu sagen. Zwischen Tong und Zhang gab es keine geistige Gemeinsamkeit, zumal es für Tong fast eine Familienschande war, daß ein so angesehener Maler wie Zhang in einer Hütte wohnte, anstatt seinem Stand und seiner Bildung gemäß in einem großen Haus zu leben.
    »Er ist ein großer Künstler, aber ein Sonderling«, hatte Tong einmal zu seiner Frau Meizhu gesagt. »Es wäre gegen seinen Willen, wenn wir uns um ihn kümmerten.«
    Zhang seinerseits war in all den vergangenen Jahren nur viermal in Kunming gewesen, und das nur, weil man seine herrlichen Bilder ausstellte und er dafür geehrt wurde. Als auch noch bekannt wurde, daß Mao bei ihm gesessen und ihm seine Gedichte vorgelesen hatte, daß er zu diesem Treffen extra nach Kunming geflogen war, erreichte die Verehrung ihren Gipfel.
    Um so mehr war das Einsiedlerleben Zhangs in den Augen von Tong Shijun eine Herausforderung der Familie, eine Mißachtung der Tradition. Und nun stand Tong vor Zhangs Tür, und dieser wunderte sich, daß sich Tong überwinden konnte, die bescheidene Hütte überhaupt zu betreten.
    »Komm herein«, sagte Zhang höflich und hielt die Tür auf. »Was hat sich verändert an dir?«
    »Kann ich einen Tag bei dir wohnen?« fragte Tong.
    »Du bist der Mann von Meizhu und daher immer willkommen. Wenn du in einem Bett mit harter Matratze schlafen kannst, ist es auch dein Haus.«
    Tong betrat das große Atelier, warf einen Blick auf das halbfertige Bild auf dem langen Tisch, breitete die Arme aus und dehnte sich, denn vierhundert Kilometer in einem hüpfenden Kleinbus verhärten die Muskeln. Dann setzte er sich auf einen Stuhl aus Weidengeflecht und blickte auf den See hinaus. Die Schatten des Abends glitten über das Wasser und ließen es tintenblau schimmern. Die letzten Fischerkähne kehrten zum Ufer zurück und verschwanden in den Schilfgassen.
    »Es ist schön hier«, sagte Tong plötzlich.
    »Die Natur ist voller Wunder«, antwortete Zhang. »Glücklich das Auge, das so etwas sieht und erkennt.« Er setzte zwei Deckeltassen, eine Keramikdose mit grünem Tee und eine große Thermoskanne mit heißem Wasser auf den Tisch. »Du wirst Hunger haben. Bist du mit einem gebratenen Fisch und eingelegten Pilzen zufrieden? Ich bin auf deinen Besuch nicht vorbereitet.«
    Tong nickte. Die lange Reise hatte ihn ermüdet, der Hunger bohrte in seinem Magen; denn außer etwas Obst bei einem Zwischenhalt und einer wäßrigen Gemüsesuppe mit Tofu in einer Garküche hatte er nichts gegessen. »Ich bin mit allem zufrieden«, sagte er.
    Zhang wunderte sich sehr über diesen Satz, der so gar nicht zu dem vornehmen Tong paßte.
    Während Zhang aus einem Eimer Wasser einen mittelgroßen Fisch mit rötlichen Schuppen holte, ihn aufschnitt, ausnahm und in kleine Stücke schnitt, eine Kesselpfanne und sogar einen Topf mit Klebreis aufsetzte, blickte Tong stumm weiter über den See, den jetzt sehr schnell die Dunkelheit verschlang.
    »Warum hast du die lange, beschwerliche Fahrt auf dich genommen?« fragte Zhang, nachdem er den Fisch gesalzen und mit einer Pfeffermischung eingerieben hatte. In der heißen Pfanne fing es gleich darauf zu brutzeln an.
    »Ich wollte mit dir reden, Shufang.« Tong wandte sich vom Fenster weg in den Raum. Der Geruch des bratenden Fisches verbreitete sich. »Es ist wegen Jian.«
    Zhang kümmerte sich um den dampfenden Reis und wendete ihn in dem hohen Topf. Er fragte sich, was Tong mit seinen Worten meinte und ob Jian nun doch von Lida gesprochen hatte, womit der Kampf zwischen dem Professor der Medizin und stolzen Han-Chinesen und dem armen Dorfschullehrer von Huili beginnen würde. Und Zhang tat das Beste, was er in diesem Augenblick tun konnte: Er schwieg und wartete.
    Tong beobachtete Zhang scharf, und als dieser beim Namen Jian keine Reaktion zeigte, wurde er unsicher. »Ich habe Kummer mit meinem Sohn«, sagte er, und seine Stimme klang kummervoll. »Eine Veränderung hat mit ihm stattgefunden. Seine Seele wird mir fremd, sein Reden entfernt sich von mir, und nur wenn ich ihn ansehe, erkenne ich manchmal noch, daß er mein Sohn ist. Zwischen uns spaltet sich die Erde. Hast du eine Erklärung dafür?«
    »Nein. Wie kann ich eure Probleme verstehen?« Zhang wendete die Fischstückchen in der brutzelnden Pfanne.
    »Jian war fast drei Wochen bei dir. Hat er nie über unsere Sorgen gesprochen?«
    Zhang atmete auf. Tongs Frage war ein Beweis, daß er keine Kenntnis von Lida hatte. Er war in dem Glauben, daß

Weitere Kostenlose Bücher