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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Welt, du Narr?«
    »Ich will ein guter Arzt werden und ein Leben führen, dem ich selbst einen Sinn gegeben habe, aber kein Leben nach einem Diktat. Mit Yanmei fängt es schon an – ich soll mich deinem Willen beugen und sie zur Frau nehmen. Nein! Ich habe meinen eigenen Willen, Vater.«
    »Dann wird Wille auf Wille prallen.«
    »Wenn es so sein muß. Ich weiche nicht zurück.«
    »Dein Benehmen erinnert mich an eine uralte Fabel, die Hsiao Fu geschrieben hat: Ein armer Mann traf eines Tages einen alten Freund, der inzwischen ein Geist geworden war. Als dieser von seines Freundes Armut erfuhr, hob er seinen Finger und zeigte auf einen Stein am Weg. Sofort wurde dieser zu Gold. Der Geist schenkte ihn dem armen Freund. Der aber war damit noch nicht zufrieden, und so schenkte ihm der Geist noch einen großen Löwen aus Gold. Aber immer noch war der Mann unzufrieden. ›Was willst du denn noch mehr?‹ fragte der Geist. ›Deinen Finger möchte ich‹, war die Antwort.« Tong sah seinen Sohn durchdringend an. »Verstehst du die Fabel, Jian?«
    »Ich brauche von dir weder einen goldenen Stein noch einen goldenen Löwen oder deinen goldenen Finger«, antwortete Jian hart. »Was ich brauche, schaffe ich mir allein!«
    »Noch bist du nichts! Gar nichts!« schrie Tong unbeherrscht. »Es ist keine Heldentat, von einem sicheren Ort mit Steinen zu werfen.«
    »Ich werde mir die Steine selbst zurechtschlagen, mit denen ich werfe!« schrie Jian zurück. »Und wo ist der sichere Ort? Hier, in diesem Haus, unter deinem Befehl. Auch das kann man ändern!«
    Er rannte aus dem Zimmer und warf die Tür hinter sich zu, so hart, daß Tong die Angst befiel, die wertvollen Holzschnitzereien könnten zerbrechen. Langsam setzte er sich wieder an den Tisch und begann seine Suppe zu löffeln. Seine Hände zitterten dabei, und er fragte sich immer wieder, was Jian so verändert haben könnte, wenn nicht der Umgang mit heimlichen Revolutionären. Ob Zhang etwas mehr wußte? Wer einen Sohn gezeugt hat, dem steht großer Stolz zu, und es ist seine Pflicht, einen aufrechten Mann aus ihm zu machen.
    Am Ende des Frühstücks hatte Tong beschlossen, nach Dali zu fahren und Onkel Zhang aufzusuchen. Nur sofort war das nicht möglich, man brauchte ihn im Krankenhaus, und er sah niemand, der ihn ein paar Tage vertreten konnte. Wie alle Großen war auch Tong der Ansicht, daß es für ihn keinen Ersatz gab; denn hätte es ihn gegeben, wäre er nicht mehr der Große gewesen.
    Als er vom Tisch aufstand, betrat Meizhu das Zimmer. Sie schaute sich suchend um und sah, daß er allein war. »Kann es sein«, fragte sie, »daß ich Jians Stimme gehört habe? Ist er zurückgekommen?«
    »Ja, er war hier. Er ist wieder gegangen. Die Universität fängt heute wieder an.« Tong atmete tief ein. »Er ist ein guter Sohn, Frau. Wir werden noch viel Freude an ihm haben.« Aber während er das sagte und Meizhu es glaubte, dachte er voll Bitternis, daß es auf der Welt nichts Schlimmeres gab als Feindschaft zwischen Vater und Sohn.
    An einem Morgen kam Chang Lifu nicht aus seinem Anbau hervor. Sonst war er immer der erste gewesen, der schon kurz nach fünf Uhr hustend und keuchend im Haus erschien, um einen Becher heißen Wassers zu trinken. Huang wurde jeden Morgen von diesem Husten geweckt, aber er erhob sich nicht von seinem Bett, wie es die Bauern um diese Zeit taten, sondern blieb wach liegen und überdachte den neuen Tag. Ein Lehrer kann länger schlafen, dafür verdient er auch weniger als jeder andere; selbst ein Hilfsarbeiter in einer Fabrik kann stolzer auf seinen Lohn blicken als ein Lehrer, dem man im Monat hundertsechzig Yuan zubilligt.
    Huang wartete an diesem Morgen noch eine Viertelstunde, bis er sich erhob, in seine Hose schlüpfte und zum Anbau hinüberging. Durch die Ritzen der Bretterwand fiel in Streifen das Morgenlicht und tauchte den Raum in eine aufgehellte Dämmerung. Einer der Sonnenstreifen glitt mitten über den Sarg und beschien Changs narbiges Gesicht.
    Er lag in seinem Sarg auf dem Rücken, hatte die Hände gefaltet und starrte gegen die Deckenbalken und das dichte Reisstroh, mit dem das Dach gedeckt war. Er rührte sich nicht, als Huang eintrat, er wandte ihm nicht den Kopf zu und sah ihn nicht an. Es war, als sei er ein Stück Holz, das jemand aus Spaß in einen Sarg gelegt hatte.
    Huang kam näher und beugte sich über Changs Kopf. Auch das brachte ihn nicht dazu, Augen oder Kopf zu bewegen, und wenn seine Augen nicht einen Blick gehabt

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