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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»höre auf den Rat der alten Weisen: Achte auf deine Gedanken! Sie sind der Anfang deiner Taten.«
    Gegen Mittag erreichte Jian das Dorf Huili. Aus der Schule tönte Gesang, ein altes Volkslied, das die Schüler einübten, um es beim nächsten Fest vorzutragen.
    Jian stieg aus dem Auto. Er freute sich darauf, Jinvan zu überraschen. Sie bereitete gerade das Mittagessen zu, das jeden Tag auf dem runden Tisch stand, wenn Huang von der Schule herüberkam. Zunächst aber schlich er hinter den Stall und in den Garten, um Chang Lifu aufzusuchen.
    Aber Chang arbeitete nicht im Garten, und die Hühner liefen nicht mehr frei herum wie bisher, sondern man hatte für sie ein Stück Land mit einem Maschendraht eingezäunt, und dort pickten sie Mais- und Gerstenkörner.
    Jian ging in den Anbau, der Changs Wohnung war, aber auch dort war alles verändert, das Matratzenlager war verschwunden, der Raum war mit allerlei Gerümpel, Gemüseabfall und Maissäcken gefüllt, an den Deckenbalken hing getrocknetes Fleisch und geräucherter Speck, und alles sah danach aus, daß Chang hier nicht mehr wohnte.
    Jian setzte sich auf einen Sack und begriff allmählich. Für Chang hatte es keine Rettung mehr gegeben: Zwei von Tuberkeln zerfressene Lungen kann man nicht mehr zusammenflicken. Aber jetzt, da Chang nicht mehr hustend herumging, erfüllte Trauer Jians Herz. Er dachte daran, daß Chang der erste gewesen war, der die Liebe zwischen ihm und Lida erkannt hatte. Eines Tages hatte er zu Jian gesagt: »Machst du sie unglücklich, schneide ich dir den Kopf ab. Ich habe nichts mehr, aber ein großes, scharfes Messer habe ich noch.« Er hatte es ernst gemeint, und in seinen Augen lag wieder der harte, erbarmungslose Blick, den man bei Kommissar Chang Lifu so gefürchtet hatte.
    Jian blieb im Gedenken eine Weile in dem Anbau sitzen. Der Gesang aus der Schule war verstummt, dafür sagte die Klasse jetzt ein Gedicht auf, das auch Jian auswendig gelernt hatte und das über zweitausend Jahre alt war.
    Jinvan stand am Ofen und briet in einer großen Eisenpfanne Fleisch, als Jian das Haus betrat. Vor Schreck und gleichzeitiger Freude hätte sie fast die Pfanne vom Herd gestoßen, doch sie war eine guterzogene Frau und lief Jian nicht entgegen. Eine Umarmung wäre unschicklich gewesen, und so verbeugte sie sich und sagte mit der gebotenen Höflichkeit: »Willkommen, Tong Jian. Wir freuen uns, dich wieder als Gast zu haben.« Sie wischte ihre Hände mit einem Tuch ab, holte die hohe Deckeltasse, den grünen Tee und die Thermoskanne, goß den Tee auf und reichte Jian die Tasse. Er nahm vorsichtig einen Schluck und stellte die Tasse auf dem Tisch ab. »Chang ist gestorben?« fragte er.
    Jinvan nickte. »Er ist in Frieden gestorben. Wir haben ihn in dem Felsen über den Feldern begraben. Es war sein Wunsch. Er will über das weite Land blicken. Keli sagt, noch bis zuletzt habe er von dir und Lida gesprochen, und er hat Keli sein großes, scharfes Messer gegeben und ihn schwören lassen, daß er dir die Kehle durchschneidet, wenn du Unglück über Lida bringst.«
    »Jinvan, Lida und ich werden die glücklichsten Menschen unter der Sonne sein. Die Zeit des Wartens wird vorbeifliegen wie ein Reiher, und wenn ich ein Arzt geworden bin, wird sie in mein Haus ziehen.«
    »Du wirst sie in eine ferne Stadt mitnehmen, ist es so? Ich habe aus Liebe eine Tochter geboren, und die Liebe nimmt sie mir wieder weg. Tifei wird in Kunming heiraten und eine eigene Familie haben, Lida wird mit dir so weit von uns sein, als sei sie auf einen anderen Stern geflogen … Keli und ich werden im Alter sehr einsam sein, und das Haus wird verfallen, die Balken werden verfaulen, die Felder verdorren, und wo heute das Gemüse, der Reis und der Mais stehen, wird das Unkraut wuchern.«
    »Ist das eine Klage, Jinvan?« Jian setzte sich an den Tisch und umfaßte die Tasse Tee mit beiden Händen. »Keiner kann in die Zukunft sehen, und das Leben ist voller Überraschungen. Vielleicht mache ich in Huili eine Arztpraxis auf.«
    »Dann lernst du den Hunger und das Elend kennen. In Huili kann niemand einen Arzt bezahlen. Kein Bauer hier und in der Umgebung kann einen Arzt bezahlen. Schon die Medizin der Heilkundigen ist teurer als der Tod. Einem Toten hilft jeder, unter die Erde zu kommen, einem Lebenden schenkt keiner auch nur einen Fen, damit er länger leben kann.«
    In der Schulklasse war das Aufsagen des Gedichtes beendet. Jinvan ging zum Herd, um den Reis aus der Hitze zu ziehen und das

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