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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schönheit. Chongyan sah mir eine Weile stumm zu, dann stand sie auf, ging das Ufer entlang und verschwand im Schilf. Ich achtete nicht darauf, ich malte ja wie ein Besessener, aber als sie nach Stunden nicht zurückkam, legte ich das Malzeug weg und suchte sie, ging den Weg entlang, den sie gegangen war, und rief ihren Namen, immer und immer wieder. Plötzlich schnürte Angst meine Kehle zu, und ich stürzte mich in das Schilf, watete in den seichten See, und als ich das freie Wasser erreichte, sah ich sie auf der Oberfläche treiben wie eine große Wasserrose. Ich schwamm zu ihr hin und zog sie ans Ufer, aber sie lebte nicht mehr. Sie hatte sich ertränkt. Ertränkt, damit ich frei war und zu meiner Familie zurückkehren konnte.« Zhang schloß die Augen, warf dann den Kopf in den Nacken und zeigte durch das Fenster auf den See. »Hier war es, genau hier. An dieser Stelle, wo sie in den See gegangen ist, um zu sterben, habe ich dieses Haus gebaut. Ich bin nie zu meiner Familie zurückgekehrt. Und ich habe Chongyan unendlich oft gemalt.« Er blickte zu Lida hinüber. »Und nun ist Lida da, und es ist mir, als stände nicht sie am Herd, sondern Chongyan. Ich will euch helfen und alles tun, daß sich Chongyans Schicksal nicht bei Lida wiederholt.«
    »Wir dürfen also immer kommen, Onkel Zhang?«
    »Betrachte mein Haus als euer Haus.« Er hob die Nase, schnupperte und sagte laut: »Es riecht köstlich. Aber streue noch etwas Ingwer über das Schweinefleisch.«
    Nach dem Essen und der zweiten Flasche Bier lehnte sich Zhang wohlig zurück und genoß ein seltenes Sattsein. Immer wieder sah er Lida an, aber nicht mit dem Blick eines Mannes, sondern mit Augen, die bis in ihr Inneres drangen, mit den Augen eines Malers, der nicht nur ein Gesicht, sondern auch die Seele in diesem Gesicht erforscht. »Ich werde dich malen, Lida«, sagte er plötzlich. »Malen vor dem See und den blühenden Azaleen. Es soll das schönste Bild werden, das ich in meinem Leben gemalt habe.«
    »Dazu haben wir keine Zeit, Onkel Zhang. Wir müssen morgen nach Lijiang und dann nach Huili zurück.«
    »Sie braucht nicht vor mir zu sitzen, ich habe ihr Gesicht in meinem Kopf.« Zhang erhob sich ächzend von seinem Stuhl, er hatte zu viel gegessen. »Wann kommt ihr wieder?«
    »Das weiß ich nicht«, antwortete Lida. »Ich habe gelernt zu warten, und ich muß noch lernen, die Tage und Wochen nicht zu zählen; ich muß leben, als gäbe es keine Zeit.«
    Sie saßen zusammen, bis der See in der Schwärze der Nacht versank, und Zhang erzählte aus seinem Leben und von einem Sturm, der fast das Haus weggerissen habe und bei dem viele Fischer auf dem See ertrunken seien. Er zeigte ihnen seine Bilder, las ein paar von seinen Gedichten vor und trank noch zwei Flaschen Bier, was ihn am Ende müde machte. Schließlich gähnte er und strich sich mit beiden Händen über die Augen.
    »Ein alter Mann sehnt sich nach seinem Bett«, sagte er. »Ich lege mich nieder. Du weißt, Jian, wo ihr schlaft.« Er ging zu seinem Bett, schlug die Decke zurück und setzte sich auf die Kante. »Der einzige Luxus dieses Hauses ist eine Wasserleitung. Ihr könnt euch duschen; es war auch für euch ein langer Tag.«
    Im Anbau, wo die Dusche eingerichtet war, zogen sich Lida und Jian aus, und wie vor ihrer ersten Nacht in Lijiang standen sie zusammen unter den Wasserstrahlen, rieben einander ab, umarmten sich und verloren sich in ihren Küssen, im Streicheln ihrer Hände und in der Erregung, die sie durchrann.
    Als sie ins Haus zurückkehrten, schlief Zhang bereits. Er hatte die Arme an den Seiten liegen, das Kinn war emporgereckt, und er sah mit seinem knochigen Schädel und dem schütteren weißen Bart wie ein Toter aus. Sie schlichen an ihm vorbei, nur ein Handtuch um die Hüften geschlungen, und dann lagen sie nackt auf dem Bett im Nebenzimmer. Lida rollte sich wieder wie eine Katze zusammen, schmiegte sich an Jian und seufzte, als er sie auf den Rücken drehte, ihre Brüste liebkoste und seine Lippen über ihren Körper zu ihrem Schoß hinunterwandern ließ.
    »Mein Mann«, sagte sie leise und hielt seinen Kopf mit beiden Händen fest. »Mein Mann, du bist alles Glück auf dieser Welt.« Dann wandte sie den Kopf zur Seite und blickte auf den Jade-Pavillon, der neben dem Bett auf einem hölzernen Hocker stand. Das Mondlicht lag auf dem Stein und ließ ihn geheimnisvoll leuchten.
    Erschöpft von der schrecklichen Busfahrt, mit Staub bedeckt, als habe er an der Straße gearbeitet,

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