Der Jade-Pavillon
Trost.
Um so ungläubiger sah Zhang das Mädchen an, das die andere Wagentür öffnete und ausstieg. Er brauchte nicht zu raten, wer es sei, und musterte Lida mit forschenden Augen; er sah die Scheu in ihrem Blick, als sie neben dem Wagen stehen blieb, als sei zwischen ihr und Zhang ein breiter, tiefer Graben. An die Brust hatte sie einen Pavillon aus Jade gepreßt, und Zhang, der Maler, erkannte sofort, daß es eine wertvolle Arbeit war.
»Jian!« rief er, als Jian den Arm um Lida legte und sie mit sich zog. »Und Lida, die Tochter des Lehrers Huang Keli! Kommt herein. Willkommen, willkommen. Ihr bereitet einem alten Mann eine große Freude. Es ist Essenszeit, aber für drei habe ich nicht genug.«
»Ich werde uns etwas kochen«, erwiderte Lida ehrfürchtig, »wenn der große Meister mich für würdig hält, an seinem Herd zu stehen und seine Töpfe zu gebrauchen.«
»Wir haben aus Dali etwas mitgebracht, Onkel Zhang«, sagte Jian fröhlich. »Ich habe mir gedacht, daß du für dich allein nur wenig kochst. Aber Lida wird uns ein Festessen aus vierzehn verschiedenen Speisen zubereiten. Und Bier haben wir auch mitgebracht.«
»Das habe ich im Kühlschrank. Denkt nicht, ich lebe wie ein Wurm von der Erde. Vierzehn Speisen?« Zhang sah Lida vergnügt zwinkernd an. »Du bist ein Mädchen, an dem ich Gefallen habe. Tretet ein, meine Lieben.«
Er ging voraus, und Lida holte aus dem Kofferraum ein paar Tüten. Als Jian ihr tragen helfen wollte, wehrte sie ihn ab und sagte: »Das ist meine Sache. Der Herd ist mein Platz. Erfreue du den Onkel mit der Schilderung unserer Erlebnisse.«
Während Lida in den verschiedenen Töpfen und Pfannen das Essen zubereitete, beobachtete Zhang sie mit Wohlgefallen. Nur eines kam ihm merkwürdig vor: Bevor Lida zu kochen begann, stellte sie den Jade-Pavillon neben den Herd auf eine Holzplatte. Zhang suchte darin einen Sinn, aber er fand ihn nicht. »Warum stellt sie den Pavillon dort auf?« fragte er.
Jian antwortete leise: »Es ist das Heiligste, was sie hat. In dem Pavillon liegt ihr Leben.«
»Es ist doch nur eine Figur.« Zhang schüttelte den Kopf. Noch hatte sein Verstand nicht die Macht des kleinen Kunstwerks begriffen. »Wo habt ihr den Pavillon gekauft?«
»Auf dem Marmormarkt bei den drei Pagoden. Der Händler sagte, ein Mönch habe ihn gesegnet.«
»Und ihr glaubt ihm?« Zhang lachte verhalten und warf einen fast strafenden Blick auf Jian. »Wie kannst du bei deiner Klugheit auf so einen Betrug hereinfallen? Jian, wo ist dein Verstand geblieben?«
»Lida und der Jade-Pavillon gehören jetzt zusammen.« Jian ließ Onkel Zhang weiter lachen – was wußte er denn von dem gestrigen Tag? »Er gleicht fast genau dem Mondpavillon im Schwarzen-Drachen-Teich von Lijiang, und dieser Pavillon hat für uns beide eine besondere Bedeutung.«
»Ihr kommt jetzt aus Lijiang?«
»Ja. Und es war mein Wunsch, dir Lida vorzustellen. Du bist der einzige Mensch, dem wir vertrauen. Du hast dich in Schweigen gehüllt, als mein Vater plötzlich vor deiner Tür stand und dir viele Fragen über mich stellte. Du hast uns beschützt, ohne Lida zu kennen.«
»Ich kenne ihren Vater Huang Keli. Er ist ein braver Mann, und seine Klugheit hätte es verdient, mehr beachtet zu werden. Wäre er in einer anderen Familie geboren, würde er jetzt kein Dorfschullehrer sein, sondern seine Stimme würde ganz China kennen. Es schläft so viel Großes in unserem Volk, das nie erwachen wird.« Zhang erhob sich und ging um den runden Tisch herum. »Ich hole das Bier.«
Er kam an Lida und dem Herd vorbei und blieb stehen. Sie zerhackte ein Huhn, das mit einer scharf-süßen Beize eingerieben war. Auf einem anderen Brett lag ein ausgesucht schönes Stück Schweinefleisch.
»Meine Augen bemerken mit Wonne«, sagte Zhang, »daß es ein Mahl wird, wie ich es lange nicht gegessen habe. Du bist eine gute Köchin. Wo hast du das gelernt?«
»Von meiner Mutter Jinvan und meiner Großmutter Peihui.« Sie senkte den Kopf, weil Zhangs Blick sie irritierte. »Unser Leben war immer arm«, sagte sie. »Nur das Essen war gut, es war unsere einzige Freude. Jeder von uns wartete jeden Abend darauf, womit Großmutter Peihui uns wieder überraschte. Dann saßen wir um den Tisch und waren glücklich.« Sie hob den Kopf und sah Zhang nun doch an. »Sie waren nie arm. Sie wissen nicht, welch ein Kampf das Leben sein kann.«
»Dabei bist du so reich«, erwiderte Zhang, »du weißt es nur nicht. Deine Jugend ist dein Reichtum. Du
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