Der Jadereiter
Tag.«
Wieder eine seiner Lügen. Es ist schwül, die Sonne verbirgt sich hinter dem Smog, und die Menschen schleppen sich von einer klimatisierten Zuflucht zur nächsten. Nach ein paar hundert Metern erreichen wir das Konsulat der Ukrainischen Republik, und wir kommen alle ins Grübeln. Welcher Funktionär der mittleren Ebene, der gewaltsam aus der Zwangsjacke des Sozialismus befreit wurde und nun katzbuckelnd nach Beförderung strebt, hat wohl diesen Standort inmitten des ausgedehntesten Bordellgebiets der Welt gewählt? Hundert Meter weiter deutet Vikorn mit dem Kinn auf ein lastwagengroßes Neonschild an einem Gebäude, das gewisse, wenn auch nicht zu große Ähnlichkeit mit einem kolonialen Herrenhaus hat. Es ist fünf Stockwerke hoch und befindet sich auf einem Grundstück mit den Ausmaßen eines Fußballfeldes. Auf dem Schild steht in Englisch, Thai, Japanisch, Mandarin und Russisch JADEPALAST. In denselben fünf Sprachen wird für einen Massageservice geworben. Ich beginne mich zu wehren, doch Suvit und Vikorn halten mich mit stählernem Griff fest, und die beiden Wachhunde folgen mir so dicht auf den Fersen, daß ich mir von ihnen eine ansteckende Krankheit einfangen könnte. »Jadepalast, das gefällt mir«, sagt Vikorn, als die Colonels mich die Stufen hinaufschieben, an deren oberem Ende uniformierte Lakaien uns mit einem wai-Gruß empfangen und die großen Glastüren öffnen.
Im Foyer richtet sich der Blick unwillkürlich auf ein etwa dreißig Meter breites Fenster, hinter dem sich ungefähr dreihundert Plastikstühle befinden. Es ist Tag, also sind die meisten Stühle leer; nicht mehr als dreißig schöne junge Frauen sitzen herausgeputzt darauf, alle ihrer Porzellanhaut, ihres perfekten Busens und ihres betörenden Lächelns wegen ausgewählt. Vikorn hält meinen Kopf fest, so daß ich sie ansehen muß. »Sind sie nicht phantastisch? Und weißt du was? Die sind so teuer und kriegen so hohe Trinkgelder, daß sie genauso scharf auf die Kunden sind, wie die auf sie. Welche hättest du gern?«
Ich schüttle in panischer Angst den Kopf. Suvit hat seinen Griff an meinem Arm verstärkt, während Vikorn den seinen löst und zur Rezeption geht, um mit einem der Herren in den Smokingjacken zu sprechen. Die Wachhunde rücken noch näher an mich heran. Ich sehe, wie Vikorn eine Kreditkarte aus der Tasche holt.
Jetzt kehrt Vikorn zurück, und wir setzen uns in Richtung Aufzüge in Bewegung. Im fünften Stock teilt ein Zeichen uns mit, daß wir den Mitgliedern vorbehaltenen VIP-Club betreten. Drei junge Frauen ungefähr meiner Größe, die bestimmt an der nächsten Miss-Thailand-Wahl teilnehmen werden, erwarten uns in reich verzierten Seidenbademänteln. Die vierte Frau ist etwa vierzig, kleiner und angetan mit einem eleganten Abendkleid.
»Das sind Nit-nit, Noi und Nat«, erklärt sie Vikorn und Suvit mit einem tiefen wai. Die Wachhunde weichen nicht vom Aufzug.
»Wo ist das Zimmer?« erkundigt sich Vikorn. Die Mamasan deutet auf eine gepolsterte grüne Ledertür. Er wendet sich mir zu. »Du hast die Wahl. Sollen die Mädchen dich ausziehen, oder sollen wir das erledigen?« Ohne auf eine Antwort zu warten, sagt er zu der Mamasan: »Verschließen Sie die Tür hinter ihm und lassen Sie ihn erst heraus, wenn seine Zeit um ist. Für wie lange habe ich bezahlt?«
»Für drei Stunden«, sagt sie mit einem Knicks und einem wai.
Die Mädchen kichern hinter mir, als ich in einen riesigen Raum mit Whirlpool, einem etwa einen Meter breiten und einen halben Meter hohen, mittels einer Halterung an der Wand angebrachten Sony-Flachbildschirmfernseher, einem gigantischen Bett mit imprägnierten Laken sowie einer verblüffenden Vielfalt von Aromaölfläschchen rund um den Whirlpool gestoßen werde. Die Tür schließt und öffnet sich wieder, als Nit-nit, Noi und Nat grinsend hereinmarschieren. Nit-nit dreht das Wasser auf, während Noi und Nat mir geschickt Hemd, Hose, Schuhe, Socken und Unterwäsche ausziehen und mich aufs Bett drücken. Meine Gegenwehr erlahmt bei der großzügigen Anwendung von Johnson’s Baby-Öl, in dieser Gegend der beste Freund aller Mädchen. Ich wehre mich nicht so heftig, wie ich könnte. Eigentlich wehre ich mich überhaupt nicht. Als letzten Versuch singe ich leise einen Text aus dem Pali-Kanon vor mich hin; leider fällt mir genau der ein, an den sich jeder junge Mönch erinnert: Mönche, ich nannte drei Paläste mein eigen, einen für den Sommer, einen für den Winter und einen für die
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