Der Jadereiter
Regenzeit. Während der vier Monate der Regenzeit blieb ich im Innern des Monsunpalastes und trat nie ins Freie; überallhin begleiteten mich Kurtisanen, die tanzten und Musik machten, sangen und ohne Unterlaß für mein Vergnügen sorgten. Soweit das verführerische Vorbild des Goldenen, in dessen Fußstapfen ich zu treten mich bemühe.
Nit-nit kehrt vom Whirlpool zurück, zieht sich aus und läßt die Finger mit einem mitleidsvollen Seufzen über meine Narbe gleiten. Fast breche ich in Tränen aus.
»Sollen wir den Fernseher anmachen oder nicht?« fragt Nat, während sie sich ebenfalls entkleidet.
»Egal.«
»Es macht dir nichts aus, wenn wir das Fußballspiel einschalten?«
»Man U?«
»Ja, gegen Bayern München.« Mit baumelnden Brüsten greift sie nach der Fernbedienung.
39
Der Colonel, eine Cyberjungfrau der reinsten Sorte (Maus? Doppelklick?), überrascht und beeindruckt meine Mutter durch den Erwerb einer teuren, alle dreißig Minuten aktualisierten E-Mail-Liste von einem Gangster in Atlanta, die automatisch an einen Gangster in Phnom Penh weitergeleitet wird (versuchen Sie mal, in Phnom Penh irgend jemanden für irgend etwas verantwortlich zu machen). Dieser wiederum verteilt die Werbung für den Old Man’s Club gegen einen Spottpreis an alle Surfer, die so unvorsichtig sind, eine Homepage mit Stichwörtern wie »Viagra«, »Sex«, »Bangkok«, »Go-go«, »Porno«, »Impotenz« oder »Prostata« anzuklicken. Allzu viele sexuell aktive Internet-Benutzer über Fünfzig dürfte es nicht geben, an denen die Cyberbotschaft meiner Mutter vorbeigeht.
Als ich heute morgen auf einem Motorradtaxi zur Arbeit fahre, höre ich wieder mal Pisits Presseschau im Radio:
Thai Rath berichtet, daß Autodiebe sich etwas Neues ausgedacht haben: Sie mieten einen Wagen, lenken ihn über die Grenze ins gesetzlose Kambodscha, verkaufen ihn an die Khmer, melden den Verlust der kambodschanischen Polizei und lassen den Autovermieter die Sache mit der Versicherung ausmachen. Laut Aussage von Thai Rath handelt es sich bei den Verbrechern ausschließlich um Thai-Cops. Es folgt die übliche Flut von Anrufern, die sich über die Korruptheit der Polizei beklagen, bevor Pisit seinen Gast, einen Versicherungsexperten, vorstellt.
Pisit, lachend: »Das muß man den Polizisten lassen: Sie scheinen ein Verbrechen ohne Opfer gefunden zu haben, denn wer verliert schon dabei?«
»Alle, wegen der Erhöhung der Versicherungsprämien.«
»Hat der durchschnittliche thailändische Autofahrer denn eine Versicherung?«
Versicherungsexperte, lachend: »Nein. Wenn er in einen Unfall verwickelt ist, besticht er einen Polizisten.«
Anrufer: »Bedeutet das, daß das Geld, das sonst an die Versicherungsgesellschaften gehen würde, bei der Polizei landet?«
Pisit, lachend: »So sieht’s wohl aus.«
Anrufer: »Ist das richtig oder falsch? Ich meine, wenn die Polizisten dieses Geld nicht bekommen würden, müßten ihre Gehälter erhöht werden, was heißt, daß die Steuern steigen, oder?«
Pisit, voller Bewunderung: »Das ist eine typische Thai-Frage.«
Als ich im Polizeirevier ankomme, ist Kimberley Jones bereits im Büro. Ich beschließe, sie in amerikanisch-dynamischem Tonfall zu begrüßen, was ihr hoffentlich imponieren wird.
»Kimberley, Warren muß noch etwas anderes getan haben. Was verschweigen Sie mir?«
Ich nehme meinen Platz neben ihr an einem groben, aufgebockten Holztisch ein. Wir machen an dem Punkt weiter, an dem wir vorgestern aufgehört haben; in einer Holzkiste zwischen uns befindet sich ein Stapel Kassetten. Kimberley Jones hat vorhergesehen, daß wir die großen Bänder von Quantico hier nicht abhören können, und Elijahs Telefonate auf Kassetten überspielen lassen. Genauso deutlich hat sie vorhergesehen, daß wir auch dafür nicht die nötige Ausrüstung haben, und deshalb auf dem Weg hierher zwei billige Walkmen erworben. Sie macht gerade eine Pause, die Kopfhörer um den Hals. Auf dem nackten Tisch ruhen nur die Walkmen und unsere Ellbogen. Es gibt keine Stifte, kein Papier, keine Computer, nur einen Stapel alter Aktenordner, den jemand in einer Ecke des Zimmers vergessen hat, sowie einen leeren Stuhl in der anderen.
»Wieso sind Sie so sicher, daß er außer Kunstfälschung noch etwas auf dem Kerbholz hat?« fragt sie, ohne mich anzusehen.
»Weil ich nicht glaube, daß er überhaupt etwas mit Kunstfälschung zu tun hat. Ich denke, das würden Sie ihm gern anhängen. Also frage ich mich, warum Sie es ihm
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