Der Jadereiter
fünfundvierzigjährigen westlichen Männern in Begleitung immer unter dreißigjähriger Thai-Frauen zusammen. Uns Thais ist nicht klar, wie einfach sich das Leben im Westen gestaltet. Zu einfach. Der bescheidenste Beitrag – vierzig Wochenstunden einer wenig anspruchsvollen mechanisierten Tätigkeit – beschert dem Menschen einen Wagen, eine Wohnung, ein Bankkonto. Andere Geschenke des Systems – ein Ehepartner, ein oder zwei Kinder, eine kleine Gruppe von Freunden – stellen sich genauso automatisch ein wie Hilfe jeder Art. Das bedeutet, daß eine ganze Hemisphäre an Ereignislosigkeit eingeht. Vermutlich ist es ein unterbewußter demographischer Trieb, der diese Männer zu uns führt; jede einzelne der Schönheiten in ihrer Begleitung ist eine Zeitbombe voll höllischer Komplikationen.
Für uns sind Komplikationen etwas ganz Normales, unser Leben ist ohne sie genausowenig denkbar wie ohne Verkehrsstaus. Oder ohne Vikorn. Wenn man ihn doch nur verpacken und ins Ausland schicken könnte!
46
Gestern abend hat die FBI-Frau mich zum Essen in das italienische Lokal des Oriental Hotel am Fluß eingeladen. Einfühlsam, wie sie nun mal ist, sagte sie mir, ich müßte mich nicht schick anziehen. Sie trug weiße Leinenshorts, eine weiße kurzärmelige Bluse, offene Sandalen: die Schlichtheit in Person, wie ich dankbar feststellte. Ich orderte antipasto misto und als Hauptgang Kalbsleber. Sie entschied sich ebenfalls für die gemischte Vorspeise, wählte als Hauptgang aber die Lasagne. Als der Kellner uns die Weinkarte reichte, gab sie sie mir, weil ich ihr von Monsieur Truffaut und seinen Bemühungen, meinen Geschmack zu kultivieren, erzählt hatte. Ich bestellte einen einfachen Barolo, machte ein großes Trara beim Probieren, schnupperte daran, nahm einen winzigen Schluck und ließ den Wein unter den Augen des thailändischen Kellners eine ganze Weile über die Zunge rollen, bevor ich das Glas mit einem Augenzwinkern in Richtung Kimberley Jones wie ein Prolet leerte. Es war ja nur ein Barolo. Wir merkten beide, daß ich sie das erste Mal richtig zum Lachen gebracht hatte, und das ist immer ein gefährlicher Augenblick im Ritual der Verführung. Leider muß ich zugeben, daß ich den Charme nicht ganz so konsequent zurückfuhr, wie ich es hätte tun sollen, als sie murmelte, ich sei einfach wahnsinnig süß. Mit anderen Worten: Ich forderte das Schicksal heraus.
»Sonchai, warum hassen Sie mich?«
»Das tue ich nicht.«
»Aber Sie verhalten sich so, als würden Sie mich nicht attraktiv finden. Eine dümmere Frau als ich würde Sie für schwul halten. Viele Frauen schützen ihr Ego, indem sie sich so etwas einreden. Sie sind nicht schwul; manchmal fühlen Sie sich von mir angezogen, zumindest auf körperlicher Ebene, doch dann weichen Sie mir wieder aus. Jedesmal. Sie sind wie ein wildes Tier vor einer Falle. Das macht mich neugierig.«
Ich ließ den Blick über die anderen Gäste schweifen: drei westliche Paare mittleren Alters, die vermutlich im Hotel wohnten, und mindestens vier Tische mit einem jungen westlichen Mann und einem Thai-Mädchen. Was für ein gutes Leben wir einem farang mit ein bißchen Geld bieten müssen. Ein abendlicher Beutezug durch die Bars sichert ihm die schöne junge Göttin seiner Träume. Es steht ihm frei, einen oder zwei romantische Abende in einem teuren Lokal unter freiem Himmel zu inszenieren, die mit Sicherheit im Bett enden. Und das ohne Bockigkeit, hysterische Anfälle oder Verpflichtungen für die Zukunft. Für genug Trinkgeld kommt sie sogar an den Flughafen, um sich von ihm zu verabschieden. Liebe à la carte ist doch sicher ein Fortschritt gegenüber einem vorgegebenen Menü?
»Ich fühle mich nicht gern wie Speiseeis.«
»Wie bitte?«
»Sehen Sie sie sich doch an.« Ich machte eine Geste in Richtung der anderen Tische. »Diese Mädchen sprechen nicht so gut Englisch wie ich. Sie surfen nicht im Internet. Wahrscheinlich haben sie ihren Fuß noch nie über die thailändische Grenze gesetzt. Ihnen ist nicht klar, daß sie nur eine neue Geschmacksrichtung von Häagen-Dazs sind. Trotzdem handelt es sich um Profis.«
Kimberley Jones mußte schlucken. Es tat mir leid, daß ich sie an den Rand der Tränen gebracht hatte. Aber sie war härter, als ich dachte. »Ihrer Meinung nach bin ich also so wie diese farang -Männer?«
Erst nach einer ganzen Weile sagte ich: »Niemand kann seiner Kultur entfliehen, sie ist von Geburt an tief in uns verwurzelt. Eine Konsumgesellschaft bleibt
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