Der Jadereiter
Teint, dem filigranen Goldkettchen am linken Handgelenk, der Haltung eines Mannes, der nicht zweimal fragen muß, wenn er etwas will, wirkt er sehr viel kultivierter als der Präsident. Man riecht fast das Eau de Cologne. Ihn wird es auch nach diesem Präsidenten noch geben, sagt sein Lächeln. Ich spüre, wie meine Kraft zu schwinden beginnt, lege das Bild auf eins der Kunstbücher und döse ein paar Minuten vor mich hin. Als ich aufwache, starrt er mich von dem Foto aus immer noch an. Ich nehme es wieder in die Hand. Vielleicht ist es die Magie des Weißen Hauses, die meine ermittlerischen Fähigkeiten weckt. Wenn wir krank sind, wird der Geist oft vorübergehend vom Körper losgelöst und kann sich frei bewegen. An jenem Nachmittag merke ich, wie der meine wieder an seinem Schicksal anzudocken beginnt.
»Was ist los?« fragt mich Kimberley Jones, als sie hinter meinen Stuhl tritt und mich dabei ertappt, wie ich Warren wohl schon zum tausendstenmal mustere. »Sie runzeln die Stirn, als würden Sie ihn kennen.«
Wie soll ich ihr das erklären? Ich wage es nicht, die dunkle Gestalt seines Geistes zu erwähnen, die ich auf jedem der Bilder hinter ihm stehen sehe und die ich zu erkennen glaube.
27
In Kats bescheidenem Heim riecht es nach Sandelholzräucherstäbchen. Wie ich lebt sie in einem Zimmer, das wir in unserem nationalen Optimismus »Wohnung« nennen, allerdings ist ihres ein paar Quadratzentimeter größer als das meine. Ihr Bild unseres geliebten Königs hängt an exakt derselben Stelle wie meins, und ihr Buddha-Schrein befindet sich auf einem hohen Regal neben der Tür. Mit Räucherstäbchen in den Händen verbeugt sie sich mehrmals vor dem Buddha. Sie wirkt konzentriert, bittet wahrscheinlich um Glück. Unter ihrem weiten Hausmantel trägt sie vermutlich nichts.
»Ich muß üben, Sonchai, gestern abend habe ich fünf Ballons nicht getroffen. Das macht dir doch nichts aus, oder? Es ist genau wie früher. Hast du deiner Mutter eigentlich je von unseren gemeinsamen Übungsstunden erzählt? Ich nicht, weil ich Angst hatte, sie wirft mir vor, dich zu verderben.« Sie tritt an einen schmalen Schrank in der anderen Ecke und holt eine kleine Plastikbox heraus.
»Ich hab’s ihr vor ein paar Jahren gesagt. Sie hat sich darüber amüsiert und wollte wissen, ob’s beim Üben geblieben ist. Ist es doch, oder?«
»Sonchai, du warst damals zehn. Wofür hältst du mich eigentlich?«
»Meine Mutter sagt, kein Wunder, daß ich so eine wilde Teenagerzeit hatte. Das erste weibliche Geschlecht, mit dem ich in Berührung gekommen bin, hat gleich mit Dartpfeilen geschossen.«
»Ganz so falsch liegt sie da nicht, wenn man hört, wie manche Männer über Frauen reden. Haßt du Frauen?«
»Nein. Aber du haßt Männer.«
»Das Thema wollen wir jetzt nicht vertiefen. Im abstrakten Sinn hasse ich Männer, ja, aber dich mag ich. Du hast mir bei der Perfektionierung meiner Nummer geholfen.« Sie nimmt ein Aluminiumröhrchen sowie ein Päckchen Kondome aus der Box, reicht mir die Pariser und legt sich auf den Futon auf dem Boden. Während sie das Röhrchen einführt, gehe ich auf die andere Seite des Raums, um das Kondom aufzublasen, bis es etwa dreißig Zentimeter lang ist. Dann verknote ich das Ende. Kat hat den Hausmantel so über ihren Unterleib drapiert, daß sie die Darts schießen kann, ohne mir ihre nackte Vagina entgegenzustrecken. Ein bißchen erinnert sie mich an einen Bogenschützen in einer Festung. Ich halte das Kondom so weit von meinem Gesicht weg wie möglich, während sie einen Dart in das Röhrchen schiebt. Plötzlich, ohne daß ich eine Bewegung wahrgenommen hätte, zerplatzt der schwanzförmige Ballon, und ein Dart steckt im Gips der mit Löchern und Rissen übersäten Wand.
»Ich hab nie begriffen, warum du kein Dartboard verwendest.«
»In der Hand der Kunden zittert der Ballon immer ein bißchen. Ich glaube, ich mache sie nervös. Ich muß üben, wie man ein bewegliches Ziel trifft. Außerdem befriedigt es mich einfach, Schwänze abzuschießen.«
»Ist Bradley schuld an deinem Haß auf die Männer?«
»Scheiße.« Der Dart verfehlt sein Ziel, bleibt in der Holztür ein ganzes Stück entfernt stecken. Diesmal habe ich die kleine Bewegung des Unterleibs bemerkt. »Mein erster und einziger Ehemann ist schuld an meinem Haß auf die Männer. Ich bin eifersüchtig und besitzergreifend, und er war Motorradtaxifahrer. Seine Touren haben ihn durch die ganze Stadt geführt, besonders zu den Bars und
Weitere Kostenlose Bücher