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Der Jäger

Der Jäger

Titel: Der Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Richter betrachtete seine Patientin, die wie eine Statue dastand, kerzengerade, den Blick ins Nirgendwo gerichtet. Er sah sie nur von hinten, ihre langen, schlanken Beine mit den schwarzen Seidenstrümpfen,den hochhackigen Schuhen, ihren Po, dessen Anblick allein jeden normal gearteten Mann um den Verstand bringen musste. Aber es war nicht nur das, die ganze Frau hatte etwas Magisches, Anziehendes, vielleicht waren es ihre Augen, vielleicht auch ihre Art zu sprechen, vielleicht aber auch alles zusammen, ihr Gesicht, ihr Mund, ihre Figur, die sich unter ihrer Kleidung zwar immer nur erahnen ließ, die aber makellos schien, ihre Hände, ihre Beine. Sie war keine der üblichen Patientinnen, die ihre zum großen Teil selbst gemachten Probleme und Problemchen bei ihm abluden, sie war anders, fast mystisch, manchmal wirkte sie wie eine in die Jetztzeit versetzte Pharaonin, dominant und unnahbar. Nicht nur einmal hatte er sich gefragt, wie sie sich wohl in den eigenen vier Wänden verhielt, ob sie umgänglich oder eher eine dieser typischen neureichen Frauen war, die nichts Besseres zu tun hatten, als ihre Launen an den Kindern, dem Mann oder dem Personal auszulassen. Seine Menschenkenntnis sagte ihm jedoch, dass sie nicht jenem Typus zuzurechnen war, distanziert vielleicht, aber nicht launisch, zumindest nicht mehr als andere, normale Menschen. Außerdem hatte sie keine Kinder, und soweit ihm aus ihren Erzählungen bekannt war, gab es im Haus nur zwei Bedienstete, eine Haushälterin und einen Mann für das Grobe, für den Garten, die elektrischen Anlagen, die Instandhaltung des Fuhrparks.
    Sie hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt, drehte sich um und setzte sich auf die Fensterbank, die Beine übereinander geschlagen. Sie sah ihn an, als würde sie auf eine Frage warten. Ihr Blick hatte wieder jenes Spöttische, Herausfordernde, das er inzwischen gut kannte. Er war sich nicht im Klaren, ob er bei ihr eine Chance gehabt hätte, aber sie war anders als die Frauen, die ihn sonst konsultierten, mal offen, dann wieder vollkommen in sich gekehrt. Sie war auch für ihn, mit beinahe fünfundzwanzig Jahren Berufserfahrung, kaum zu durchschauen. Sie war wie ein Chamäleon, das sich den jeweiligen Gegebenheiten perfekt anzupassenwusste, eine Meisterin der Mimikry, und manchmal fragte er sich, warum sie überhaupt zu ihm kam. Sie ließ sich nicht in die Seele blicken, und wenn er doch einmal das Gefühl hatte, sie würde ihm Zutritt zu ihrem tiefsten Innern gewähren, so verschloss sie die Tür in dem Augenblick, in dem er den Fuß über die Schwelle setzen wollte. Es war, als würde sie sich und andere beherrschen. Aber sie war nicht dominant, nicht in dem Sinn, wie er es von anderen kannte, die ihre Dominanz wie ein goldenes Zepter vor sich hertrugen, die keinen Widerspruch duldeten, die erwarteten, dass alle bedingungslos nach ihrer Pfeife tanzten, die Kritik austeilten, aber nicht in der Lage waren, Kritik einzustecken. Ihm kam es vor, als würde sie das Leben als ein Spiel betrachten, aufregend und gefährlich zugleich, ein Spiel ohne Waffen, gespielt mit Blicken, Gesten, Worten. Er hatte noch nie eine Patientin gehabt, die derart blitzschnell eine Situation einzuschätzen wusste, wann und wie sie etwas zu sagen hatte. In Augenblicken wie diesem überkam ihn einmal mehr das Gefühl, dass sie ihn testete, dass sie ihn herausforderte, das Spiel zu spielen. Doch er wusste noch nicht, um was für ein Spiel es sich handelte.
    Angeblich waren es Depressionen, die sie zu ihm geführt hatten. Aber inzwischen glaubte er das nicht mehr. Was immer sie vor ihm verschlossen hielt, es waren mit Sicherheit keine Depressionen. Er kannte die unterschiedlichen Symptome von Depressionen, doch nicht eines dieser Symptome hatte er bislang bei ihr feststellen können. In seinem Buch
Depression und Angst – eine Erscheinung der Gegenwart?
hatte er dieses Thema auf über dreihundert Seiten behandelt. Endogene Depressionen, manisch-depressive Symptome, hypochondrische Depressionen und so weiter, nichts kam bei ihr in Frage. Das Einzige, was er noch nicht ganz ausschließen wollte, war eine bestimmte Form von psychogener Depression aufgrund nicht bewältigter und womöglich sogar vollkommen verdrängter Konflikte, allerdingswusste er bis jetzt so gut wie gar nichts über ihre Vergangenheit, und wann immer er darauf zu sprechen kam, verschloss sie sich wie eine Auster. Auf der anderen Seite wusste er, dass es keinen Menschen gab, der nicht das

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