Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
davon.
»Grüße mir deinen Hund«, rief ihm Philipp hinterher. »Ist er immer noch dicker als du?«
»Der Hund ist tot«, sagte Bastulf im Gehen.
»Das tut mir leid.«
»Ja«, sagte Bastulf und ging durch die Tür hinaus ins Freie. Philipp schüttelte den Kopf und widmete sich wieder seiner Mahlzeit. Die Begegnung mit Bastulf war wie das Wiedersehen zweier guter Bekannter verlaufen. Erst nach einer Weile wurde ihm bewußt, daß er während seiner ganzen Zeit im Kloster niemals auch nur ein Wort mit Bastulf gesprochen hatte.
Er legte ein paar Münzen neben die leere Schüssel, von denen er hoffte, daß Bastulf sie annehmen würde. Dann begab er sich wieder in den Westhof hinaus und schritt ungeduldig darin auf und ab. Er dachte an das bevorstehende Zusammentreffen mit Bruder Johannes. Damals hatte er um Johannes’ Freundschaft gebuhlt und gleichzeitig eine vage Angst vor dem virilen, aufgekratzten Novizen empfunden, der (im Gegensatz zu Philipp) sowohl seine Eltern kannte als auch den Betrag, den diese dem Kloster übergeben hatten, damit ihr Sohn dort ausgebildet werde. Zusätzlich zu seinem Charakter mochte es dieser Umstand gewesen sein, der ihn zu so etwas wie einem Führer all jener Jungen gemacht hatte, die vom Klosterbetrieb nicht so sehr verschüchtert waren, daß sie nicht ab und zu eigene Gedanken gehegt hätten. Er wußte, woher er kam, und er wußte, welcher Weg ihm vorgezeichnet war. Wenn er sich dennoch nahtloser in die Gemeinschaft einfügte als zum Beispiel Philipp, lag es daran, daß er diesen Weg auch gehen wollte. Er wußte, was er wollte; Philipp hatte immer nur gewußt, was er nicht wollte. Philipp erkannte, daß er die Unruhe noch immer in sich spürte, wenn er an die bevorstehende Begegnung mit dem Assistenten des Abtesdachte. Alte Laster sterben schwer , dachte er spöttisch. Er hat mir nichts mehr zu sagen; wenn ich will, kann ich ihm ins Gesicht lachen. Aber er wußte, daß er ihn brauchte, und zusätzlich zu seiner Unruhe fühlte er leisen Ärger darüber, daß er sich gegenüber Bruder Johannes schon wieder in einer unterlegenen Position befand.
Er blickte auf, als er einen hochgewachsenen Mönch aus dem Portal des Kirchenvorbaus treten sah, bei dessen Anblick sich die Klosterbediensteten sofort verneigten, bevor sie mit ihrer Arbeit fortfuhren. Der Mönch unterschied sich auf den ersten Blick nicht von allen anderen Brüdern; Philipp jedoch, der die Kutte schon getragen hatte, erkannte auch aus der Ferne, daß das Material seiner Kleidung reiner und leichter war als die üblichen groben Wollstoffe. Der Bruder hatte die Kapuze über den Kopf gezogen, wie es die Regel vorschrieb, und im Abendlicht war sein Gesicht nicht zu sehen; aber statt demütig gebeugt stand er mit deutlichem Selbstbewußtsein im Hof und wandte den Kopf hin und her, als suche oder examiniere er etwas. Er hielt die Hände hinter dem Rücken und wippte ungeduldig auf den Füßen.
Etwas machte »Kssst!« aus der Richtung der Herberge, und Philipp wandte sich um. Bastulf stand im Eingang und deutete auf den neu angekommenen Mönch. Auch dieser hatte das Zischen gehört; der dunkle Schatten, der sein Gesicht unter der Kapuze war, richtete sich auf Philipp, dann gab er sich einen Ruck und schritt auf den Stall zu. Philipp stieß sich von der Wand ab und ertappte sich dabei, wie er mit den Händen über sein Wams fuhr, um es zu ordnen.
Als sie voreinander standen, war es Philipp möglich, in die Kapuze zu spähen. Ermußte den Kopf dazu heben; Johannes war größer als er. Das Gesicht des Mönchs hatte sich kaum verändert, seit er ihn zum letzten Mal gesehen hatte; die Sommersprossen machten seine Züge jungenhaft, und der Schutz vor Sonne und Witterung, den die Kapuze und das Leben im Inneren des Klosters gewährte, hatten seine Haut rein und frisch erhalten. Die Augen strahlten selbst im Schatten der Kapuze in ungewöhnlich hellem Blau.
»Philipp«, sagte Johannes; und, als ob er Gedanken lesen könnte: »Der verlorene Sohn macht einen Besuch.«
»Ich hoffte, du würdest so etwas sagen«, erwiderte Philipp. »Ich fürchtete schon, du würdest dich freuen.«
Johannes blinzelte überrascht. Sein Mund formte an einer Entgegnung, ohne daß er sie gefunden hätte.
Philipp lächelte zu ihm hoch. »Du hast etwas aus dir gemacht«, sagte er. »Ich gratuliere dir.«
»Ich kann dem Vater Abt behilflich sein, das ist alles«, erklärte Johannes langsam, als müsse er sich noch immer von den bissigen Worten Philipps
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