Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
Schandtat mit ausplaudern. Sie schluckte die wütenden Worte wieder hinunter, die sich auf ihre Zunge gedrängt hatten.
»Lambert hat einen Mann umgebracht«, sagte sie statt dessen.
»Sein Herr hat einen Mann umgebracht«, korrigierte Renata. »Er hat ihm nur geholfen.«
»Der Kaplan sagt, das ist das gleiche.«
Renata zuckte mit den Schultern. Lioba sah sich um. Vermutlich würde man im nächsten Moment nach ihnensuchen, und sie hatte noch nichts gefunden, mit dem sich Renatas Schweigen erzwingen ließ. Gleich danach fiel ihr etwas ein.
»Lambert ist seinem Herrn weggelaufen«, sagte sie. Renata nickte gleichmütig. »Weißt du, was passiert, wenn Lamberts Herr erfährt, daß er hier ist?«
»Er nimmt ihn wieder mit.«
»Ja, aber uns nimmt er auch mit.«
»Warum sollte er?« fragte Renata erstaunt und riß die Augen auf.
»Weil wir zwei schöne junge Frauen sind« (nun, es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als auch Renata in das selbstgemachte Kompliment mit einzuschließen, die häßliche Ziege), »und schöne junge Frauen immer von den bösen Herren mitgenommen und an die Heiden verkauft werden.«
»An die Heiden? Glaubst du wirklich?«
»Natürlich«, sagte Lioba mit aller Weisheit, die ihr zur Verfügung stand.
»Was machen die Heiden mit uns, wenn wir an sie verkauft werden?«
Lioba starrte sie einen Moment ratlos an. »Wir müssen arbeiten ...«, sagte sie dann zögernd.
»Das müssen wir hier auch. Gestern ist mir auf dem Feld sogar ein Stein auf die Zehen gefallen.«
»Weil du dich blöd angestellt hast.«
»Hab’ ich gar nicht. Er war einfach zu schwer.«
»Wenn wir an die Heiden verkauft werden, stecken sie uns ihre Schwänze rein«, sprudelte Lioba plötzlich den Gedanken heraus, der sie in der letzten Zeit am meisten beschäftigt und geängstigt hatte. Sicherlich würde Renata gleich vor Schreck erblassen.
»Dann muß aber der Kaplan uns vorher verheiraten«, widersprach Renata nüchtern. »Hast du selbst gesagt.«
»Die Heiden heiraten nicht«, flüsterte Lioba und machte ein grimmiges Gesicht. »Die Heiden stecken dir ihre Schwänze rein, ob du verheiratet bist oder nicht.« Sie schluckte; ihre eigene Unkerei verursachte ihr plötzliches Herzklopfen. Wer wollte sagen, ob es nicht tatsächlich so war? »Und nachher fressen sie dich auf«, vollendete sie schwach.
»Auffressen?« wisperte Renata mit großen Augen.
»Und deshalb ist es ganz wichtig, daß niemand erfährt, daß Lambert seinem Herrn weggelaufen ist. Und deshalb dürfen wir beide es niemandem erzählen, nicht einmal Gertrud, hast du gehört?«
»Wenn du meinst...«
»Natürlich meine ich. Schwöre es mir.«
»Ich schwöre«, sagte Renata kleinlaut. Na also, das war geschafft.
Einige Tage später erschien ein Reiter vor dem Haus. Es war noch früh am Morgen, dem Pferd stand die Luft in Wölkchen vor den Nüstern, und Lioba trat ungeduldig mit ihren nackten Füßen auf dem kalten Erdboden herum, während Lambert sich dem Reiter vorsichtig näherte.
Es stellte sich heraus, daß das Pferd verletzt war. Der Reiter verlangte von Lambert, daß er sich darum kümmere, und warf ihm eine kleine Münze hin. Dann stieg er ab, streckte die Beine und stampfte, knarrend und klirrend in seinem Waffenzeug, vor dem Haus herum. Lioba starrte ihn an, bis er ihre Blicke bemerkte und seine kalten Augen auf sie richtete. Sie wich seinem Blick nach wenigenMomenten aus und wünschte sich, Lambert hätte den Reiter fortgeschickt. Eine Kälte kroch an ihren Beinen herauf, die nicht nur von der frischen Luft und dem kalten Boden stammte.
Lambert zog das Pferd neben das Haus und untersuchte alle Hufe. Schließlich ließ er von dem Tier ab, tätschelte es am Hals und fuhr mit den Händen über die Flanken.
»Ich kann nichts erkennen«, sagte er.
»Der Gaul hinkt aber wie der Teufel. Sieh noch mal genau nach«, brummte der fremde Reiter. Lambert machte sich erneut ans Werk. Der Reiter trat gelangweilt mit dem Fuß gegen die geflochtene Wand des Hauses, dann bückte er sich plötzlich und schlüpfte durch die niedrige Türöffnung hinein. Lioba fühlte sich versucht, ihm zu folgen, aber seine ausdruckslosen Augen gruselten sie. Sie beobachtete die dunkle Türöffnung mißtrauisch und erwartete, jeden Moment den Lärm aus dem Haus zu hören, der bedeutete, daß die Ziegen und Hühner darin abgeschlachtet wurden. Unverständlicherweise kam der Mann wieder zum Vorschein, ohne daß dergleichen passiert wäre. Er warf ihr einen weiteren
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