Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
Dionisia war, und daß der Mann im Bett bereits seit mindestens drei Tagen tot war. Sie brauchte nicht erst hinzusehen. Der Geruch machte es mehr als überdeutlich.
»Oh, Philipp«, stieß sie unwillkürlich hervor und trat einen Schritt in den Raum. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Philipp ihr folgte. »Der Herr sei seiner Seele gnädig«, sagte sie. Philipp nickte mit zusammengebissenen Zähnen. Sie traten noch näher an das Bett heran, bis der Gestank nach Blut und Fäkalien sie dazu zwang innezuhalten. Dionisia saß starr an der Seite des Leichnams; nur ihre Hände fuhren unablässig über den Stoff neben sich. Das erste, was Aude an ihr wahrnahm, war, daß sie lediglich einen Überwurf über ihrem Nachtgewand trug. Das zweite waren die eingetrockneten Blutspritzer an der Vorderseite des Gewands und ihre braunverkrusteten Hände. Dann sah siein das Gesicht des Toten und hörte Philipp neben sich keuchen. Ihre Kehle verschloß sich. Zuletzt fiel ihr Blick auf den Prügel, der dunkel von geronnenem Blut und Gehirnmasse direkt neben Dionisias nackten Füßen lag.
»Am Fuß der Treppe liegt ein weiterer Leichnam«, sagte Galbert, als sie um Atem ringend wieder im Saal standen. Audes Augen tränten vom gewaltsamen Zurückhalten ihres Mageninhalts. Sie sah, daß Philipps Hände zitterten. Dionisia saß noch immer neben der verwesenden Leiche am Bett. Niemand hatte gewagt, sie zu berühren. »Wenn man die Fliegen verscheucht, kommt darunter ein altes Weib zum Vorschein. Es sieht so aus, als sei sie die Treppe hinuntergefallen. «
»Oder gestoßen worden«, flüsterte Philipp plötzlich. Er ballte die Fäuste und schluckte. Das Schlucken wiederholte sich und ließ sich nicht mehr abstellen. Philipp riß die Augen auf, taumelte beiseite und würgte krampfhaft. Galbert sah ihn befremdet an. Philipp beugte die Knie, als würde er vornüberfallen, und wankte. Aude sprang ihm nach und packte ihn um die Hüfte. Er erbrach sich mit einem heftigen Schwall und stöhnte dann, während er sich zitternd aufrichtete und Audes Hände vergeblich abzustreifen versuchte.
»Setzt Euch hier auf die Truhe«, sagte sie bestimmt. Er gehorchte ihr wortlos und ließ sich schwer auf die Truhe niederfallen. Seine Augen waren feucht vor Anstrengung und sein Gesicht kalt und kalkweiß.
»Wir müssen das Mädchen dort herausbekommen«, sagte sie dann zu Galbert. Er nickte und straffte sich.
»Ich mache das«, sagte Philipp und kam mit schweren Beinen in die Höhe. »Aber ich brauche Eure Hilfe, Aude.« »Natürlich.« Sie sah ihn argwöhnisch an, aber er nickte ihr zu und schüttelte sich. Sein Gesicht war noch immer bleich, aber seine Hände zitterten nicht mehr so stark, als er sich über den Mund wischte. Galbert blickte sich unschlüssig um und sagte dann unglücklich: »Es gibt hier wohl weit und breit keinen Abdecker.« Er wischte sich die Hände an der Hose ab. »Also werde ich die Alte aus der Küche holen.«
»Dort drüben ist eine Tischplatte, auf der wir sie nach oben transportieren können«, erklärte Philipp. »Laß sie einstweilen; ich helfe dir nachher. Du sollst sie nicht allein anfassen müssen.« Galbert nickte erleichtert. »Wir müssen auch Radolf nach draußen schaffen.«
Er stakte auf die Kammer zu. Aude gesellte sich an seine Seite und wappnete sich gegen den Geruch, der noch immer schwer in der Kammer hing. Dionisia hatte ihre Stellung nicht verändert. Philipp ging vor ihr in die Hocke, bemühte sich, den Blick von Radolfs zerstörtem Gesicht abzuwenden, und schaute ihr in die Augen. Aude beobachtete ihn dabei. Sie sah, wie sich sein Gesicht verhärtete, als ihre Blicke durch ihn hindurchgingen.
»Dionisia«, sagte er leise. »Hört Ihr mich?«
Es war, als hätte er nichts gesagt. Nach einigem Zögern berührte er ihre Schultern und schüttelte sie vorsichtig. Ihr Kopf pendelte vor und zurück, und ihr Haar fiel ihr ins Gesicht. Philipp sah zu Aude auf und zuckte mit den Schultern. Aude trat hinter Dionisia und schob ihr die Hände unter die Achseln. Sie war von der Kälte der Haut überrascht; nur ihre Achselhöhlen waren warm und feucht. Das Mädchen richtete sich widerstandslos auf, als ob man eine Gliederpuppe auf die Beine stellte, und hinterließ einendunklen Fleck auf dem blutbespritzten Laken. Ihr Körpergeruch stieg zu Aude auf; eine Mischung aus ranzigem Schweiß, gestocktem Blut, Urin und kalt gewordenem Entsetzen. Auf die Beine gestellt, blieb sie schwankend stehen. Aus den Kleiderfalten in ihrem
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