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Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Es ist so wenig Zeit gewesen zwischen unserer Flucht und dem Vorfall bei den Eichen, sagte er sich, sie hatten keine Gelegenheit, ihr etwas anzutun. Aber er wußte, daß es nur eines Augenblicks bedurfte, um ein Leben zu beenden. Er versuchte, all dieseGedanken beiseite zu schieben, aber er wurde das Gefühl nicht los, daß er alles falsch gemacht hatte. Er war froh um die leise Berührung von Audes Körper vor ihm auf dem Sattel. Außerhalb des Waldes beschien der Mond die Felder, beinahe ebensogroß wie vorgestern, als sie sich geliebt hatten, und unabhängig voneinander verglichen sie den silbrigen Glanz des Lichts auf dem vom Wind bewegten hohen Korn mit dem Flirren des Flusses.
    Philipp hielt das Pferd an, als sie zwischen den ersten Hütten ankamen. Er drehte den Kopf hin und her. Das Pferd stampfte und schnaubte, aufwirbelnde Wolken vor seinen Nüstern. Auf dem freien Feld war es fast ebenso kühl wie am Ufer des Flusses. Aude rieb ihre Arme und flüsterte: »Was ist los?«
    »Riechst du es nicht?«
    »Ich rieche das Korn und den Staub der Straße.«
    »Ich dachte, ich hätte Rauch gerochen.«
    Aude spähte über das helle Band hinweg, das die Straße ausmachte. Die Hütten warfen kurze schwarze Schatten darüber oder saßen in ihren eigenen tiefen Schattenpfützen, hell schimmernde Dächer und lichtlose Flanken.
    »Woher sollte der Rauch kommen? Meinst du, die Bewohner sind zurückgekehrt?« Sie unterzog die Straße einer erneuten Musterung. Schließlich schaute sie nach oben. Der niedrige donjon von Radolfs Haus stanzte einen finsteren Umriß in den vage schimmernden Dunststreifen über dem Horizont. »Es ist nirgendwo Licht zu sehen.« Sie stellte fest, daß sie weiterhin flüsterte, aber Philipp tat es ihr nach.
    »Ich habe keine Ahnung«, raunte er und schnupperte angestrengt. »Jetzt rieche ich es auch nicht mehr. Sollen wir weiterreiten?«
    »Wenn es eine Gefahr gibt, liegt sie hinter uns, nicht vor uns«, erinnerte sie ihn. Sie spürte, wie er mit den Schultern zuckte. Seine Arme faßten vorsichtig an ihrem Körper vorbei und hielten die Zügel.
    Der Lagerschuppen war ein größerer Schatten unter den geduckten Hütten um ihn herum. Sie achtete nicht darauf, bis sie bemerkte, wie Philipp im Vorbeireiten den Kopf drehte. Sie drehte sich um und versuchte ihm ins Gesicht zu sehen. Seine Augen waren zusammengekniffen.
    »Das Wiesel ist weg«, murmelte er.
    »Was?«
    »Das gekreuzigte Wiesel an der Schuppentür. Es ist weg.« Unwillkürlich zügelte er das Pferd wieder. Sie spürte die Steifheit in seinen Armen.
    »Es wird heruntergefallen sein«, beruhigte sie ihn.
    »So wie die zwei Geldverleiher bald vom Galgen fallen werden«, flüsterte er heiser. Sie zuckte zusammen.
    »Was bedeutet es schon, wenn das Wiesel nicht mehr an der Tür hängt?« fragte sie.
    »Ich weiß es nicht. Es hing noch dort, als wir das Dorf verließen.«
    »Komm schon. Ich bin sicher, es liegt unten auf dem Boden. Dort ist alles schwarz vor Dunkelheit.« Sie hatte keine Erinnerung mehr an das tote Tier, aber jetzt drängte sich ihr das Bild eines kleinen, flachen Körpers mit mattem Fell auf, in dem Maden wimmelten. Sie hieß das Bild dennoch willkommen: Es verdrängte die Abbilder der gehängten Juden, die sie nach Philipps heiseren Worten in ähnlicher Lage gesehen hatte.
    »Wir hätten nicht hierherkommen sollen«, brummte Philipp, aber er trieb das Pferd wieder an. Aude schüttelte den Kopf.
    Ein paar Schritte weiter war sie plötzlich mit ihm einer Ansicht. Sie griff erschrocken nach seinem Arm, aber er hatte es schon gesehen und zügelte das Pferd zum drittenmal. Etwas lag auf der Straße, etwas, das rund und so groß wie ein Menschenkopf war und in einer dunklen Pfütze lag. »O Gott«, sagte sie mit kranker Stimme. Philipp schnaubte und wies nach vorne: Weitere undefinierbare Teile lagen auf der Straße, zusammen mit Stoffetzen und anderem Material. Aude hielt sich an seinem Arm fest. Philipp machte Anstalten abzusteigen, aber dann überlegte er es sich anders und trieb das schnaubende, umhertänzelnde Pferd wieder an. Es schritt langsam auf ihre erste Entdeckung zu. Das Mondlicht lag auf einer zerschlagenen, aufgeplatzten Oberfläche.
    »Es ist ein Flaschenkürbis«, sagte Philipp erstaunt. Seine Worte brachen einen Bann: Auf einmal sah sie nur Löcher dort, wo Augen gewesen waren, und eine Wucherung, die wie eine eingeschlagene Nase ausgesehen hatte. Das Haar war nur der Schatten in den Rissen und Schrunden am Ansatzpunkt

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