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Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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bleich. Aude hörte, wie Schritte die Treppe zum ersten Geschoß des donjons heruntereilten. Sie wollte sich umdrehen, aber sie stellte fest, daß es ihr nicht gelang. Ihr Blick war wie magisch auf einen der Männer gebannt, der einen Pfeil auf die Sehne gelegt und den Bogen ein nachlässiges Stück gespannt hatte. Die Pfeilspitze deutete auf den Boden. Sie wußte, daß es nur eines Wimpernschlags bedurfte, um die Spitze zu heben, den Bogen ganz zu spannen, loszulassen und den Pfeil in ihr Herz zu senden. Dann drehte Philipp sich um. Eine schlanke Gestalt schritt auf sie zu, begleitet von weiteren Bewaffneten. Das Fackellicht ihrer Bewacher und das Mondlicht spielten auf Schmuckketten und Broschen auf einem dunklen Mantel. Im Ring ihrer Bewacher öffnete sich eine Lücke, und der Mann trat hindurch und blieb hart vor ihnen stehen. Er spähte ihr neugierig ins Gesicht. Sie nahm seine verwegenen Züge mit den harten Linien um das Kinn wahr, ohne sie tatsächlich zu sehen. Dann wandte sich der Mann von ihr ab und nickte Philipp zu. Er richtete sich auf, er war größer als sie beide, und seine Bewegung war gleichermaßen kraftvoll wie elegant. Der Stoff seines Mantel schimmerte. In der ungewissen Lichtmischung aus Fackelnund Mond wirkte er beinahe zu perfekt. Als er den Mund öffnete, war seine Stimme deshalb eine besondere Enttäuschung: Sie sprach mit einem so deutlichen Akzent, daß er selbst Aude offenbar wurde und ob der Vollkommenheit der restlichen Erscheinung fehl am Platz wirkte.
    »Was für einen interessanten Fang haben wir da gemacht«, sagte der Mann, und es hörte sich an, als hinge hinter jedem Wort noch ein kaum hörbarer Vokal. »Ich dachte nicht, daß ihr beide noch frei herumlauft.«
    »Eure hohlköpfigen Totschläger verfolgen ein Maultier und ein leeres Kleid«, sagte Philipp. »Wenn sie nicht in der Nacht in den Rhein gefallen und ertrunken sind.«
    »Leider stand mir kein besseres Material zur Verfügung.«
    »Es muß bitter sein, so zu arbeiten, wenn man selbst so brillant ist.«
    »Danke für das Kompliment. Ich habe das Gefühl, es kommt von Herzen. Willst du mich nicht der Dame in der reizenden Mönchskutte vorstellen? Ich kenne sie, aber sie kennt mich nicht, und dieser Zustand ist unwürdig.«
    Philipp biß die Zähne zusammen. Aude sah seine Augen vor Wut funkeln, als er mit einer halben Verneigung auf den Mann in den teuren Kleidern zeigte und sagte: »Aude Cantat, dies ist Kardinal Giovanni da Uzzano, mein Auftraggeber und, wenn mich nicht alles täuscht, der eigentliche Mörder Eures Mannes.«
    »Ich gebe zu, ich bin überrascht, dich hier nochmals vorzufinden«, sagte der Kardinal. »Überrascht, daß wir noch am Leben sind?«
    »Euer Tod gehörte niemals zum Plan. Weder deiner noch der von Aude Cantat.«
    »Und was ist mit Audes Mann?«
    »Komm schon, Philipp, willst du mich nach dem Tod jedes Mannes fragen, der gestorben ist, seit Kain Abel erschlagen hat?«
    »Was tut Ihr hier?«
    Der Kardinal sah sich um, als würde es ihn langweilen, darüber Auskunft geben zu müssen. Er breitete die Arme aus und sagte: »Ich suche, was du hättest finden sollen. Radolf s Dokumente.«
    Sie trieben sie ins Innere des Hauses, in den Saal hinauf, der ein ähnliches Bild bot wie die Straße durch das Dorf. Teile von Geschirr und Einrichtungsgegenständen lagen herum, eine der Truhen war mit einem Beil geöffnet worden und hatte die Splitter ihres morschen Deckels weithin verstreut. Die Männer hier im Haus hatten (anders als die Posten, die der Kardinal im Dorf versteckt hatte) nicht aus Zerstörungswut gehandelt. Philipp dachte unwillkürlich an die Szene im Haus des erhängten Geldverleihers. Hier hatte er das Bild zu den Geräuschen, die er damals gehört hatte. Er drehte sich zu Giovanni da Uzzano um und sagte: »Wenn Radolf nicht schon tot wäre, würdet Ihr ihm dann auch eine Monstranz unterschieben und ihn hängen lassen?«
    Der Kardinal lächelte. »Da ich hier bin, kann Radolf gar nicht anders als tot sein.«
    Philipp gab ihm ein kaltes Grinsen zurück, aber während zwei der Bewaffneten ihn die Treppe zur Küche hinunter eskortierten, ging ihm plötzlich der Doppelsinn dieser Worte auf. War er hergekommen, weil Radolf gestorben war? Oder hatte Radolf sterben müssen, damit er herkommen konnte?
    Aude war in die entgegengesetzte Richtung geführt worden, die Treppe hinauf zu Dionisias Kammer, Philippwünschte sich, sie wäre bei ihm geblieben. Er versuchte die Sorge zu verdrängen, man könnte

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