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Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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des Astes, und auch die Pfütze, die sie gesehen hatte, war nur dies: eine Schattenpfütze. Sie atmete aus.
    Das Pferd schritt langsam weiter und stieß den Kürbis mit einem Huf an. Er kollerte bedächtig beiseite. Sie kamen an den anderen Dingen vorbei, die auf der Straße lagen, den Stoffetzen, die sie wirklich gesehen hatten, und den zerbrochenen Tischbeinen, zerborstenem Tongeschirr und Büscheln von Stroh aus den Dächern.
    »Plünderer«, flüsterte Philipp grimmig. »Sie sind schneller als Aasvögel.«
    »Meinst du, sie sind noch hier?«
    »Wenn sie es wären, hätten sie uns schon längst vom Pferdgeholt.« Philipp dachte an den flüchtigen Geruch nach gelöschten Fackeln, aber das konnte ebenso Einbildung gewesen sein wie das abgeschlagene Haupt.
    Als sie vor dem offenen Tor zu Radolfs Besitz standen und nichts passiert war, waren beide erstaunt. Philipp ließ die Arme sinken und spürte den Schmerz in den Schultern. Ein Stich schoß ihm in den Nacken hinauf; sein Rücken war ein einziger Knoten. Er glitt vom Pferd und streckte die Hände aus, um Aude herunterzuhelfen.
    »Wenn sie nun in Radolfs Haus sind?«
    »Dann würden wir sie von hier bis nach Köln singen und zechen hören. Radolf hatte Wein im Keller; keinen guten, aber man bekommt einen ordentlichen Rausch davon.«
    »Es ist nur, weil ich plötzlich dachte, Rauch zu riechen.«
    Sie rutschte aus dem Sattel und ließ sich in seine Arme sinken. Er stellte sie sacht auf den Boden. Es tat gut zu stehen. Ihr Kreuz schmerzte vom verkrampften Sitzen, und ihre aufgescheuerten Waden brannten wie Feuer. Sie hatten einen Streifen vom Rock ihres Hemdes abgetrennt und herumgewickelt, aber der Druck auf die offenen Stellen war dadurch nicht zu lindern gewesen, nur das Scheuern. Sie seufzte und massierte ihren verlängerten Rücken. Er hielt sie einen Augenblick länger als nötig fest, und sie machte sich rascher als nötig los, nur um es sofort wieder zu bereuen. Sein Gesicht im Mondlicht war undefinierbar. Die Steine auf der Straße preßten sich in ihre nackten Fußsohlen.
    »Ich gehe vor«, sagte Philipp. Sie nickte. »Du ziehst das Pferd hinter dir her. Wenn dir etwas komisch vorkommt, spring auf und reite davon.«
    Sie antwortete nicht; sie war sicher, daß ihm klar war, daß sie ihn nicht allein zurücklassen würde. Sie nahm denZügel in die Hand und wartete darauf, daß er über die Bohlen schritt, die das faulige Wasser bedeckten.
    Seine Fußtritte waren dumpf. Er trat durch das offene Tor und sah sich nach allen Seiten um. Das verlassene Haus ragte jetzt in all seiner düsteren Gedrungenheit vor ihnen auf. Sie hörte ihn über den ausgetretenen Weg gehen, der helle Schimmer seines Hemdes der einzige Lichtfleck vor der Finsternis. Sein Wams trug seit einiger Zeit Aude, aber es hatte die Kälte nur unzureichend von ihr abgehalten.
    Sie folgte ihm mit dem Pferd nach. Als sie hinter dem Tor nebeneinander standen und zum Haus Radolfs hinaufsahen, begann das Pferd plötzlich zu schnauben. Noch bevor sie ihm die Nüstern zuhalten konnten, wieherte es. Aude und Philipp zuckten entsetzt zusammen. Aus dem baufälligen Stall kam als Antwort ein ebenso lautes Wiehern.
    Hinter ihnen, vom Tor her, sagte eine ruhige Stimme: »Wenn Ihr vernünftig seid, rührt Ihr Euch nicht mehr von der Stelle.«
    Aude fuhr herum. Beim Tor stand eine Anzahl Männer, unmöglich zu sagen, wie viele es waren; vielleicht ein Dutzend. Das Mondlicht blinkte auf gesichtslosen Fratzen mit hohlen Augenlöchern: Topfhelme mit tief heruntergezogenen Nasenschützern. Sie sah, wie sich die undeutlichen Umrisse von kurzen Bögen auf sie richteten. Wenn Kraft in ihr gewesen wäre, hätte sie vor Wut und Entsetzen gleichermaßen geschrien.
    »Ihr hättet ruhig eher kommen können«, hörte sie die Stimme von Philipp. »Da wäre uns wenigstens der Ritt durch das verdammte Dorf erspart geblieben.«
    Funken schlugen aus Feuersteinen in getrocknete Flechten; die daran entzündeten Fackeln flammten so schnell auf, daß sie erst vor kurzem gelöscht worden sein konnten. Das Fackellicht selbst riß die Männer, die jetzt über die Bohlen schritten, aus der Dunkelheit und zeigte Kettenhemden, einheitliche Waffenhemden mit einem bunten Wappen darauf und eine Bewaffnung aus Bogen und Spießen. Der Anführer der Männer gab einen Wink, und einer der Spießträger eilte nach vorne und riß Aude die Zügel aus der Hand. Philipp versuchte ihn niederzustarren. Sein Gesicht im Fackellicht wirkte eingefallen und

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