Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
»Ich spreche natürlich von Kaiser Frederico. Ich mache kein Hehl daraus, daß er meine Sympathien hat. Man sagt ihm nach, er sei ein Heide, ein Ketzer und der Teufel in einer Person, aber die Wahrheit ist doch nur, daß er seinen Kopf zum Denken benutzt anstatt die Kniescheiben, auf denen die Kleriker herumrutschen und den Herrn inbrünstig bitten, für sie zu denken. Es heißt, daß ein neues Zeitalter vor der Tür steht und der Jahrtausendkaiser uns dorthin führen wird. Ich kann’s nicht sagen, weil ich nicht dabei war, als Kaiser Otto damals ausgerechnet hat, wie lange die Welt schon besteht, seit Gott der Herr Himmel und Wasser geteilt hat. Aber ich will es glauben, weil ich gehört habe, daß auch der Kaiser daran glaubt. Und wenn es stimmt, dann kann nur einer der Jahrtausendkaiser sein: Kaiser Frederico.«
»Warum gerade er?«
Rasmus riß die Augen auf.
»Warum er? Weil der Kaiser von Gott persönlich eingesetzt ist, um die Christen zu führen; und weil, wenn es jemals ein Beispiel für diese These gab, unser jetziger Kaiser dieses Beispiel ist.«
»Der Papst behauptet auch, er sei von Gott eingesetzt.«
»Der Papst wird von einem Haufen eitler, stinkreicher alter Böcke gewählt, die während der Wahl die ganze Zeit über sabbernd daran denken, welche saftige Jungfrau sie demnächst besteigen wollen.«
»Lieber Himmel. Ihr habt ein gefährliches Mundwerk.«
Rasmus tat, als habe er Philipps Warnung nicht gehört. »Rechtmäßigerweise wird der Papst vom Kaiser eingesetzt und der Kaiser von Gott. Als Zeichen dafür setzt der Kaiser sich selbst die Krone auf. So gehört es sich und nicht anders. Und es gibt einen, auf dessen Beispiel sich unser Kaiser stützen kann: Karolus Magnus, den größten Kaiser, den das Reich jemals hatte.« Er kniff ein Auge zu, um seine Aussage zu unterstreichen. »Das steht sogar geschrieben. Von des Karolus’ Biographen eigener Hand. Und daran glaube ich fest.«
»Das solltet Ihr lieber nicht an Bischof Konrads Ohren dringen lassen. Er würde Euch mit Freuden von diesem Glauben befreien; samt Eurem Kopf.«
»Ach, ich bin zu klein, um ihm aufzufallen.«
»Vorgestern waren ein paar Männer auf dem Markt, die waren noch kleiner als Ihr: Knechte aus dem Troß des Kanzlers. Nachdem sie ihre Gedanken öffentlich klargelegt hatten, lag einer von ihnen tot auf dem Boden, und einem war der Kiefer zerschmettert. Und ihre Gedanken unterschieden sich gar nicht mal so sehr von den Euren.«
»Ich habe schon davon gehört. Eure Ratsbüttel haben sich auf die Seite der Päpstlichen geschlagen.«
»Der Rat weiß, was für ihn gesund ist.«
»Eine elende Situation. So ist es in vielen Städten. Die Stimmung ist gereizt, und viele haben Angst, auch wenn sie es sich noch nicht anmerken lassen. Man erkennt es an den Augen der Leute. Sie heben sie kaum, wenn sie mit einem sprechen, und sie haben es eilig, aus der Gegenwart von Fremden zu verschwinden – als ob sie fürchten, zu dem falschen Mann ein falsches Wort zu sagen. Am Geschäft merkt man es natürlich auch; es läuft schlechterals gewöhnlich. Aber ich denke, daß bald eine Entscheidung fallen wird.«
Das wird sie , dachte Philipp und erinnerte sich an die düsteren Worte seines Herrn. In Lyon. Gleichzeitig wurde ihm klar, daß dies die einzige Information war, die seine Einladung in das Badehaus einigermaßen gerechtfertigt hätte. Aus keinem bestimmten Grund hielt er sie zurück; es sei denn, daß es die Beklommenheit war, die der Anblick des zum Fenster hinaus sprechenden Raimund in ihm geweckt hatte. Rasmus schien es nicht übelzunehmen. Er plauderte, trotz seiner harten Worte gutgelaunt, weiter über die Idiotie der Zerwürfnisse zwischen den Großen der Welt, die seine Handelswege unsicher machten und seinen Gewinn schmälerten, über die Qualität der Badehäuser in den unterschiedlichen Städten, die er auf seinen Reisen besuchte, und über seine Pläne, eine zarte Witwe zu beglücken, die ihm an seinem Stand schöne Augen gemacht hatte. Am Ende war es so, daß Rasmus für sein Geld keinerlei Informationen erhalten, aber eine Menge davon gegeben hatte. Für den Händler mochte es in Ordnung sein. Manche Leute waren glücklich, wenn sie sich nur lange genug reden hörten.
Die Kaufleute pflegten nach der Abendandacht im »Kaiserelefanten« zu essen, wenn sie nicht – wie Rasmus – über besondere Beziehungen in der Stadt verfügten und verschiedene Anlaufplätze kannten. Der »Kaiserelefant« stand am Nordende des
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