Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
mit all diesen Dingen auf sich hatte. Er würde Agnes mit offenen Armen empfangen und dem Dorf erklären, daß er stolz auf sie sei, weil sie sich mit solch frommen Dingen beschäftige. Sie lächelte im Einschlafen; sie freute sich darauf.
Es stellte sich heraus, daß der Priester sich nicht freute.
Er hörte sich ihre Geschichte an, während er immer blasser und sein Mund ein weißer Strich in seinem Gesicht wurde. Zuletzt sprang er auf und streckte einen Finger gegen Agnes aus und zischte erstickt: »Schweig, Weib. Deine Rede ist Häresie.«
Und ehe sie verstand, was geschehen war, stürmte er aus der kleinen Hütte neben der Kapelle, die er sein Zuhause nannte, rannte zur Kapellentür, nahm einen Stock auf und schlug mit aller Kraft dagegen. Die Dörfler strömten erschrocken zusammen, und Agnes wurde vom Priester am Arm aus seinem Haus gezerrt und vor die versammelten Bauern gestoßen.
»Dieses Weib spricht mit der Zunge der Ketzer!« schrie der Priester. »Wir haben eine Abgesandte Satans zwischen uns; eine Dienerin Luzifers.«
Agnes nahm das finstere Gesicht ihres Mannes zwischen den anderen Dörflern wahr. Während sich die restlichen einander zuwandten und erregte Laute von sich gaben, verschlossen sich seine Züge. Er schwieg, während einer der Männer fragte: »Wer sagt das?«
»Sie selbst sagt es«, rief der Priester und richtete sich auf. »Mit ihrem eigenen Mund hat sie mir erklärt, daß demnächst die Welt untergehen wird!«
Die Dörfler sahen sich an. Agnes’ Mann schüttelte den Kopf und ließ die Schultern hängen.
»Ich sage, ihr gehört der Prozeß gemacht!« geiferte der Priester.
»Wir müssen aufs Feld, Vater«, widersprach einer der Männer.
»Wenn ihr die Überführung eines Ketzers behindert, behindert ihr die Rechtsprechung der Kirche«, donnerteder Priester. »Und ihr macht euch verdächtig, mit ihr unter einer Decke zu stecken.«
Die Dörfler bewegten sich unruhig und wichen dem Blick des Priesters aus. Er starrte sie mit brennenden Augen an; als niemand einen weiteren Einwand hatte, sagte er leise: »Nun?«
»Wir müssen dem Herrn Bescheid geben«, seufzte der Dorfälteste. »Er muß Recht sprechen.« »Der Herr ist zu beschäftigt«, entgegnete der Priester. »Er wird sich nicht darum kümmern können.«
»Wir müssen auf ihn warten«, rief der Älteste. »Er ist unser Richter. Wenn wir uns seine Hoheit anmaßen, wird er uns bestrafen.«
»Ich werde es ihm erklären«, beruhigte ihn der Priester. »Er wird verstehen, daß es sich um einen Notfall handelt.« Die Männer sahen ihn zweifelnd an.
»Wer ist wessen Diener?« fuhr der Priester auf. »Haben die Heiligen Väter nicht gesagt, daß selbst die Kaiser und Könige das Knie vor der Kirche zu beugen haben? Wie wird es da wohl mit den Grafen und Rittern sein?«
Die Männer zuckten zurück, und der Priester erkannte, daß er ihre Angst und ihre Loyalität zu ihrem Herrn nicht überfordern durfte.
»Wir werden das Dorfgericht abhalten«, sagte er daher nur. »Während ihr euch bereit macht, werde ich eine Nachricht an den Herrn schreiben und ihm dies mitteilen. Derjenige von euch, der am schnellsten laufen kann, soll sie ihm überbringen. Wenn er nicht mit meiner Entscheidung einverstanden ist, kann er selbst hierherkommen und seinen Spruch fällen.«
»Wenn Ihr meint«, brummte der Dorfälteste.
Die Felder und die Saat würden heute warten müssen. Alsdie Männer damit begannen, Bänke vor der Kapelle aufzustellen, auf denen sich die Ältesten zum Dorfgericht setzen konnten, machte niemand mehr Anstalten, zur Arbeit zu gehen. Männer, Frauen und Kinder drückten sich in der Nähe der Kapelle herum, um den Arbeiten zuzusehen, vor allem aber, um Agnes zu betrachten.
Ihr plötzliches Schicksal, von den meisten ebensowenig verstanden wie von ihr selbst, machte sie interessant, wie ein seltsames Tier oder eher wie eine Mißgeburt, die auf dem Markt ausgestellt wurde. Die ersten Finger deuteten auf sie, die Frauen tuschelten erregt untereinander und mit ihren Männern, und die Mienen der Zuschauer wurden mit jeder Minute verschlossener.
Die ersten spuckten vor ihr aus, und als ein paar Frauen den ersten und den letzten Finger der rechten Hand abspreizten und gegen sie richteten, begann ihr Herz voller Angst zu schlagen. Sie reckte sich und suchte wild nach dem Gesicht ihres Mannes und ihren Kindern in den Umstehenden, aber sie konnte sie nicht erblicken. Sie wußte nicht, daß ihr Mann aufs Feld gegangen war und dort den
Weitere Kostenlose Bücher