Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
Nacht Gastfreundschaft?« fragte Philipp. »Ich kann im Stall bei meinem Pferd schlafen. Morgen werde ich aufbrechen, sobald die Sonne aufgeht.« Dionisia seufzte.
»Natürlich erhaltet Ihr Gastfreiheit unter diesem Dach«, sagte sie. »Und was Euren Aufbruch betrifft, so würde ich damit warten, bis Ihr morgen mit meinem Vater gesprochen habt. Ich bin sicher, bis dahin hat er es sich überlegt und nimmt Euer Angebot an.«
Ich habe kein Angebot zu unterbreiten , dachte Philipp. Es ist der Kardinal, der ihm einen kleinen Finger reicht, und wenn er nicht danach greifen mag, bin ich darüber nicht böse. Etwas von seinen Gedanken mußte sich in seinen Zügen gespiegelt haben, denn Dionisia lächelte traurig. Sie streckte plötzlich eine Hand aus, und Philipp griff unwillkürlich danach und half ihr von dem Podium. Als sie unten stand, schien sie es nicht eilig zu haben, ihre Hand zurückzuziehen.
»Was müßt Ihr nur für einen Eindruck von uns haben«, sagte sie. »Ich habe Euch draußen so hochfahrend behandelt wie eine Prinzessin, und gleich darauf kündigt Euch mein Vater an, Euch in Stücke zu reißen.« Sie legte den Kopf schief und lächelte zu ihm empor. »Meinen Vater habe ich bereits entschuldigt. Nun komme wohl ich an die Reihe.«
Sie faßte an den Rock ihres Gewandes und deutete einen leichten Knicks an. Ihr Gesicht war dabei spitzbübisch genug, so daß ihre Geste nicht peinlich war, und dennoch so bemüht, daß man ihre Entschuldigung ernst nahm. Langsam stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht, und er verbeugte sich, um ihre Geste zu ehren.
Dionisia hob eine Hand und hielt sie vor Philipps Brust. Er starrte sie einen Augenblick an, bevor ihm einfiel, was er zu tun hatte. Er hob seine Linke und wartete, bis sie ihre rechte Hand leicht daraufgelegt hatte.
»Ich hatte Angst draußen unter den schweigsamen Bauern«, erklärte sie unverblümt. »Deswegen habe ich Euch so kurz abgefertigt. Ich wollte zurück hinter das Tor. Keiner von ihnen hat auch nur ein Wort mit mir gesprochen; nicht der alte Mann, den sie ihren Vorsteher nennen, underst recht nicht der Mann, dessen Weib gestorben ist. Sie haben mich nur alle beobachtet, als ich das Kleidchen des Kindes an mich nahm, und ich wußte nicht, ob sie mich verabscheuten oder meinen Tod wünschten.« Sie erschauerte und legte ihren freien Arm um ihren Bauch. »Schweigsamkeit kann auch ein Zeichen von Respekt sein«, sagte Philipp. »Ihr seid die Herrin, und Ihr habt nur Euer Recht in Anspruch genommen. Sie hatten keinen Grund, zornig auf Euch zu sein.«
Dionisia sah ihn zweifelnd an, und er fühlte sich zur Wahrheit genötigt: »Auf der anderen Seite zeugt es nicht eben von Feingefühl, einem Mann, dessen Frau und Kind soeben gestorben sind, noch etwas aus seiner Hinterlassenschaft wegzunehmen, nur weil das Recht des Herrn Euch diesen Schritt erlaubt.«
»Aber sie sind doch alle draußen gestanden und haben gewartet, daß ich mir mein Teil nahm, damit sie sich ihren Teil danach holen konnten. Sie sind nicht besser als ich.«
»Sie sind seine Leute«, erwiderte Philipp. »Ihr gehört nicht dazu.«
»Ebensowenig wie Ihr.«
»Ich bin vielleicht ein freier Mann, aber von niedriger Geburt wie sie«, sagte Philipp, und Dionisia errötete.
»Ihr seid anders als diese stumpfen Wesen«, erwiderte sie. »Diese stumpfen Wesen haben bereits den Boden bestellt und mit ihrem Brot die Krieger ernährt, als beide Schichten noch gleichberechtigt nebeneinander gelebt haben. Sie können nichts dafür, daß die einen nun als die Herren gelten und sie selbst als Knechte. Sie tun nur das, was sie immer getan haben: Sie ernähren diejenigen, die keine Zeit für den Pflug haben, weil sie ständig das Schwert in ihren Händen führen.«
Dionisia wandte den Blick ab und biß sich auf die Lippen. Er konnte deutlich sehen, daß Zorn und Betroffenheit sich in ihrem Gesicht stritten. Er schüttelte den Kopf und seufzte im stillen.
»Wieso wagt Ihr es, so zu sprechen?« flüsterte sie.
»Weil ich in Wirklichkeit der König eines gewaltigen Reiches unter dem Meer bin. Ich warte nur auf den Tag, an dem eine Froschprinzessin mich küßt, damit ich mich wieder in eine Kröte zurückverwandle und in mein Reich heimkehren kann, wo ich den ganzen Tag gebratene Fliegen esse und wohlgeformte Meerjungfrauen beobachte.« Dionisia starrte ihn mit einer derartigen Mischung aus Verblüffung und Entsetzen an, daß er sich das Lachen verbeißen mußte.
»Vielleicht ist es auch ganz anders«,
Weitere Kostenlose Bücher