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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Rohrbach
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Erdboden gehen zu können. Auf der Kuppe eines Abhanges zwischen Weinstöcken sehe ich eine ebene Wiesenfläche, von Kirschbäumen umstanden. Pralle, dunkelrote, zuckersüße Früchte hängen schwer an den Ästen. Ich esse mich satt. Gräser, Disteln und Kräuter wachsen auf dem Wiesenfleck. Es duftet. Zikaden zirpen unermüdlich. Ein Storch segelt langsam in den violetten Abend. Später schwirren Fledermäuse durch die Nacht. Die Luft ist lau und samtig, eine bezaubernde Sommernacht.
     
    Wie ein glühender Ball springt die Sonne am Morgen über die Berge. Es ist viel Tau gefallen. So können die Pflanzen überleben, auch wenn es wochenlang nicht regnet. Nebliger Dunst füllt das Tal. Die Bergspitzen leuchten golden. Das Sträßchen steigt nun noch steiler an. Jetzt gibt es keinen Wein mehr. Abbrüche, karge Wiesen, einzelne Nußbäume und Kastanien. Es ist eine wildromantische, einsame Gegend. Kein Mensch außer mir ist unterwegs. Die Asphaltstraße endet; nur ein Pfad führt weiter. Eine Kehre und noch eine Kehre, dann sehe ich Peñalba. Ich halte die Luft an! Das ist ein zauberhaftes Dorf! Eingebettet in einen engen Talkessel. Überkrönt von schneebestäubten Felsspitzen. Die Häuser aus Bruchsteinen, mit großen Schieferplatten bedeckt, drängen sich dicht zusammen, beieinander schutzsuchend vor Wetterunbilden.
    Holzbalkone, von Regen und Sonne verwittert, hängen an den Außenfronten, und Stiegen aus Holz und Treppchen aus Stein führen zu ihnen hinauf. Häuser dieser Art hatte ich auch in Acebo gesehen, dort waren sie aber von Verfall und Verwahrlosung gekennzeichnet. Peñalba jedoch lebt! Es ist ganz in sich geschlossen, einheitlich in seiner Eigenheit, urtümlich mit seinen Schieferdächern, die aussehen wie Schuppen auf dem Panzer einer Echse. Die Luft ist klar und kühl und trägt den Geruch vom Schnee der Berge. Die Sonne wirft gleißend helle Strahlen. In scharfem Kontrast fällt in das Licht die Schwärze der Schatten.
    Peñalba ist ein Dorf aus der Vergangenheit, das bis in unsere Zeit überlebt hat. Die Außenmauern und Dächer, die Treppen und Balkone sind intakt, dort stehen Töpfe mit Blumen, hier ein Sack voll Heu, da hinten ist Brennholz gestapelt und da vorne, über dem Geländer, hängt ein Sattel. Hier wohnen Menschen, doch niemand ist zu sehen. Vielleicht ist es zu früh und die Bewohner schlafen noch? Inmitten des Dorfes liegt die mozarabische Kirche, Santiago de Peñalba, die ich unbedingt sehen wollte. Sie paßt mit ihren klobigen Formen in die Umgebung. Wie die Bauernhäuser ist sie aus Bruchsteinen aufgeschichtet und das Dach mit Steinplatten gedeckt.

    Das Portal dagegen ist klein und zierlich; mit zwei maurischen Bögen und drei schlanken Säulen liegt es in dem derben Steingemäuer wie eine Perle in rauher Muschelschale. Im Jahre 931 wurde diese Kirche geweiht, die zu einer ehemaligen Klosteranlage gehörte. Mönche aus dem Süden Spaniens, aus Cordoba, bauten hier, nach dem Arabereinfall, im Schutze der unzugänglichen Bergwelt, ein neues religiöses Zentrum auf. Ohne die Unterstützung der Bergbauern hätten sie ihr Werk wohl nicht vollbringen können. Das Kloster von Peñalba war im 10. Jahrhundert der religiöse Mittelpunkt in den Bergen des Bierzo.

     
    Schleifende Geräusche! Es knackt und bricht! Ich folge dem Lärm und sehe eine alte Frau. Ganz in Schwarz gekleidet zieht sie einen halben Baum hinter sich her. Sie schleppt ihn vor ihre Haustür und beginnt zu hacken und zu sägen. Von ihr erfahre ich, auch in Peñalba lebten nur noch zwölf alte Leute.
    »Wie ist es möglich, daß dieses Dorf so gut erhalten ist?« frage ich überrascht.
    Sie lächelt. »Wir rühren uns eben von früh bis spät. Da, sehen Sie!« Sie weist auf eine andere alte schwarzgekleidete Frau, die tiefgebeugt unter einem Tragkorb in die Dorfgasse einbiegt. »Das ist meine Nachbarin. Bereits im Morgengrauen geht sie aufs Feld und jetzt schleppt sie Grünzeug heim, um Ziegen und Kaninchen zu füttern.«
    »Wie ist es hier oben im Winter? Sicher ist das Dorf dann monatelang eingeschneit und von der übrigen Welt abgeschnitten?«
    »Ja, das stimmt. Aber das sind wir gewohnt. Das war schon immer so. Ich bin hier geboren und kein Mensch bringt mich von hier weg!« sagt die Alte energisch.
    »Wer will denn, daß Sie weggehen ?«
    »Mein Sohn! Jedesmal, wenn er mich besuchen kommt, bedrängt er mich. Ich solle zu ihm nach Madrid ziehen. Madrid ist häßlich und ungesund! Ich bleibe hier, basta!«
    Ich

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