Der Jakobsweg
ging hinein, um mich auszuruhen und etwas zu essen. Sonst rastete ich lieber am Wegesrand, aber hier gab es nur die Straße und den Fluß mit steilen Ufern.
Die meisten Tische waren besetzt, erstaunlich an einem Donnerstagvormittag. Ich erfuhr, es sei ein Feiertag.
Wieder öffnete sich die Tür. Ein Mann mit auffällig heller Kleidung, mit beigen Hosen und weißem Hemd, schob vier Kinder vor sich her in den Raum. Er dirigierte die Jungen und Mädchen an den letzten freien Tisch, da huschte noch eine verschüchterte Frau hinterher. Unsicher, in sich verkrochen, stand sie mit hängenden Armen neben dem Tisch, bis der Mann sie anherrschte, sie solle sich endlich setzen. Der Mann tat sehr großspurig. Mit lauter Stimme, so daß es alle im Lokal hörten, verkündete er: »Heute wollen wir uns mal amüsieren!« Er habe die Woche über schwer geschuftet, nun könne er Frau und Kindern einen schönen Tag bereiten.
»Mis señores y señoras, que quieren Ustedes, meine Herren und Damen, was wünschen Sie?« fragte er gönnerhaft seine Kinder, die stumm und eingeschüchtert auf ihren Stühlen saßen und nicht zu sprechen wagten. Der Mann wurde schnell ungeduldig. Da wollte er ihnen nun mal was Gutes tun, und die dummen Gören sperrten den Mund nicht auf. Die Kinder waren blitzsauber und proper angezogen. Ihre Gesichter waren wach und intelligent, aber verängstigt wie erstmals von der Herde getrennte Zicklein. Der Vater beschimpfte sie ärgerlich. Sie erstarrten nur um so mehr. Da bestellte er Windbeutel und Limonade. Die Frau erhielt das gleiche wie die Kinder. Auch sie sagte nichts und blickte den Mann nur erschrocken an, wenn er sich ihr zuwandte. Nie sprach er sie mit ihrem Namen an, sondern nannte sie immer nur »mujer ! Frau!«
Über einem geblümten Baumwollkleid trug sie eine weiße Strickjacke, krampfhaft hielt sie in der einen Hand ein Stofftäschchen, in der anderen das Gebäck, ohne zu essen. Auch die Kinder ließen den Windbeutel lange unberührt auf dem Teller liegen. Schließlich bissen sie kleine Stücke davon ab. Für die Frau und die Kinder mußte dieser Ausflug eine Qual sein, sie schienen sich nichts sehnlicher zu wünschen, als endlich wieder gehen zu dürfen. Der Vater wollte seine Familie fröhlich sehen, wenn er schon so spendabel war. Was soll ein Mann nur tun, der mit solch dummen, verstockten Kreaturen geschlagen ist? Er zog seinen Geldbeutel, teilte Münzen unter den Kindern aus und zeigte auf den Spielautomaten. Die Kinder reagierten nicht. Da sammelte er das Geld wieder ein und stakste selber zu dem Automaten. Mit der Zigarette im Mundwinkel stand er lässig da und warf die Münzen ein. Der Mann war klein, aber zäh und sehnig gebaut. Ich konnte mir vorstellen, daß er unerbittlich zuschlägt, wenn er verärgert und betrunken ist. Sein Gesicht war gezeichnet von harter Arbeit und Alkohol. Die verkrampfte Haltung der Frau und der Kinder lockerte sich ein wenig. Sie warteten stumm und starr auf das Ende der Tortur. Der Mann hatte das Geld verspielt. Mürrisch gab er das Zeichen zum Gehen. Die Kinder wieselten hinaus, die Frau huschte hinterher. Der Ausflug war beendet. Ein lastendes Gefühl von ausweglosem Unglück blieb zurück.
Als ich weiterwanderte, war inzwischen der Verkehr auf der Straße unerträglich geworden, denn das ist die Hauptverbindung nach Coruña. Erst nach 20 Kilometern, bei Herrerías, würde der Pilgerweg abbiegen. Wie sollte ich das so lange ertragen? Mir fiel ein, daß manche Pilger zur Sühne Kreuze mitgeschleppt hatten, sich in Ketten schmieden ließen oder fast nackt und barfuß liefen. Ich dachte, selbst all das würde von der Plage des Straßenverkehrs noch übertroffen. Deshalb zögerte ich nicht, als ein Pfad seitwärts abzweigte. Wo er auch hinführte, auf jeden Fall entging ich so der Straße. Bald stieg er steil aufwärts in die Berge. Neben dem Weg sprudelte ein Bach. Zitronengelbe Gebirgstelzen tänzelten über die Steine.
Und dann lösten sich die Wolken auf! Sturzfluten flössen herab! Der Weg verzweigte sich mehrmals, aber die Karte wollte ich bei diesem Wetter nicht zu oft hervorziehen und so verirrte ich mich.
Stunden um Stunden bin ich im Regen bergan gestapft. Der Paß müßte schon längst erreicht sein. Wo ist die Ortschaft Cebreiro? Manchmal gabelt sich der Weg. Jetzt nützt mir auch der Kompaß nichts, denn ich weiß überhaupt nicht mehr, wo ich bin. Wenn wenigstens Sicht wäre. Wind und Regen peitschen mir ins Gesicht. Erschöpft hocke ich mich
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