Der Jakobsweg
verlassen sollten. Zuerst wollten die Wunden nicht heilen, dann mußten die verkehrt zusammengewachsenen Knochen nochmals gebrochen werden. Als dann später unter dem Knie ein Knochenstück herausragte, wurde der Knochen einfach abgesägt. Um das nun kürzere Bein wieder auf die richtige Länge zu korrigieren, quälte man den Armen mit einer Streckmaschine. Inigo soll alle diese Leiden und Martern ohne Betäubungsmittel und ohne Schmerzenslaute ertragen haben. Um sich die Zeit zu vertreiben, begann er zu lesen. Da er seine geliebten Ritterromane nicht bekommen konnte, griff er zu den einzig vorhandenen Schriften: Geschichten aus dem Leben des Franziskus von Assisi und seines Schülers Dominikus. Wie vorher die Ritterromane seine Phantasie beflügelt und zum Nachleben inspiriert hatten, so glaubte er sich jetzt durch diese Erzählungen zu einem religiösen Leben berufen. Aber vielleicht war es auch die Einsicht, seine Karriere als Offizier nicht mehr fortsetzen, nicht mehr reiten und kämpfen zu können.
Nun widmete er sein Leben ausschließlich seinem neugewonnenen Glauben. Sein leidenschaftlicher Charakter brauchte einfach ein Ventil, ein neues Ziel. Ignacio, wie er sich nun nannte, gründete mit dem gleichen fanatischen Eifer, der gleichen verbohrten Unerbittlichkeit und der lebensverachtenden Strenge gegen sich und andere, die er schon als Offizier gezeigt hatte, den Orden der Jesuiten. Seine Heiligsprechung war dann nur noch eine Frage der Zeit.
Endlich liegt Pamplona hinter mir. Die Straße konnte ich bald verlassen und wieder einem Pfad folgen. Er führt über eine kleine Holzbrücke. Ich schaue hinab in das Flüßchen. Dicke Regentropfen platschen ins Wasser. Die Frösche quaken. Es macht mir jetzt sogar Spaß, im Regen zu laufen. In Gedanken versunken nähere ich mich dem Ort Cizur Menor. Erschreckt zucke ich zusammen, als der erste Hund wild am Zaun emporspringt und bellt. Es hilft nicht, beschwichtigend auf ihn einzureden. Vielleicht hört er am Ton meiner Stimme, daß ich erschrocken und verärgert bin über sein lautes Bellen. Das Kläffen schallt mir hinterher. Gerade als er sich beruhigt, belfert der nächste Köter. Er hängt an einer Kette. Die Eisenkette reißt ihn bei jedem Sprung zurück. Das Hundegeblaffe treibt mich wie einen unerwünschten Eindringling durch Cizur Menor und läßt mir keine Ruhe zum Verweilen. Menschen sehe ich keine.
Auf einer kleinen Anhöhe, links vom Dorf, entdecke ich eine Ruine, den Rest einer romanischen Kirche. Nur die Außenmauern, das Dach und das Portal stehen noch. Wenn auch zerfallen, vermittelt die Kirche eine stille Schönheit. Farne wachsen in den Mauerzwischenräumen, im Dach verankert sich eine Birke, und Flechten zieren die Steine.
Schon wieder droht mir ein Hund, groß mit schwarzem Zottelfell rennt er zielstrebig auf mich zu. Er hält den Kopf schief, und Geifer tropft ihm aus dem Maul. Ich fürchte mich normalerweise nicht vor Tieren. Ihre Reaktionen sind mir vertraut. Doch Haustieren gegenüber fühle ich mich unsicher. Ihre tierischen Instinkte und Verhaltensweisen sind fast immer durch das Zusammenleben mit den Menschen verdorben. Vor diesem Schwarzen mit dem schiefen Kopf und dem Schaum an den Lefzen habe ich regelrecht Angst. Ich bücke mich und hebe einen Stein auf. Meist genügt diese Geste, um einen Hund zu vertreiben. Doch dieser schwarze Köter wird durch den Stein in meiner Hand erst recht zum Angriff gereizt. Wie ein Berserker bellt er und schnappt wütend in die Luft. Ich hebe schnell weitere Steine auf und werfe sie dicht vor ihm auf den Boden, daß der Sand aufspritzt, vermeide aber, ihn zu treffen. Er bellt wütend. Mit einer Steinkanonade gewinne ich Abstand. Schließlich dreht er sich um und trabt zur Ruine zurück. Später, als ich mich nochmals umschaue, sehe ich ihn oben auf dem Hügel. Schwarz und einsam steht er dort im Regen, und mir scheint, er zittert sogar. Jetzt fühle ich fast Mitleid mit ihm. Er sieht traurig aus und allein. Vielleicht ist er gar nicht tollwütig, wie ich fast befürchtete, sondern war nur freudig erregt, weil endlich jemand zu ihm kam - und ich hatte ihn mit Steinen weggetrieben.
Lange Zeit führt jetzt der Pilgerweg durch grüne Getreidefelder. Ackersenf säumt die Feldraine, und vereinzelt stehen Mohnblüten wie Blutstropfen im grünen Feld. Der Regen rinnt weich und warm vom Himmel und hüllt die Landschaft in einen wogenden Schleier. Durch das milchige Weiß des Regens erkenne ich undeutlich die
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