Der Jakobsweg
Auftraggeber gehabt haben - die Tempelritter? Immer wieder »begegne« ich diesem geheimnisvollen Orden, ohne Genaues über ihn erfahren zu können.
An dem achteckigen Zentralbau ist im Osten eine Apsis und im Westen ein Treppenturm angebaut. Wieder rührt mich die schlichte Einfachheit, der harmonische Zusammenklang der Proportionen und Formen. Da wird eine Pforte geöffnet, und der cura tritt heraus. Er bleibt stehen und mustert mich ernst und schweigend, als erwarte er eine Erklärung. Ich muß komisch aussehen, verschwitzt und staubig mit blauen Sandalen und den baumelnden Wanderschuhen und Socken am Rucksack, so beeile ich mich mit der Mitteilung, ich sei eine Pilgerin. Er nickt und winkt mir zu, ihm zu folgen. Wir gelangen in ein kleines Haus und dort in ein Kämmerchen. Es ist kühl und dunkel. Noch immer ohne ein Wort gesprochen zu haben, streckt er die Hand aus. Da ich nicht reagiere, fragt er schließlich: »Haben Sie keinen Pilgerpaß?«
»Ach so, natürlich!« Schnell hole ich den Ausweis, den ich in Roncesvalles erhalten hatte, aus dem Rucksack. Es ist das erste Mal, daß ihn jemand zu sehen verlangt. Der cura drückt einen Stempel auf das Papier. Weil er so schweigsam ist, wage ich nicht, ihn nach einer Übernachtung zu fragen. Statt dessen bitte ich ihn, Santo Sepulcro innen besichtigen zu dürfen. Er nickt wieder und sagt dann doch noch einen Satz: »Die Tür ist offen.«
Es dauert einige Zeit, bis ich im Dämmerlicht etwas erkennen kann. Nur wenig Licht fällt durch die schlitzartigen Öffnungen ins Innere. Dann haben sich meine Augen daran gewöhnt, und ich blicke hinauf zu dem ungewöhnlichsten Deckengewölbe, das ich je gesehen habe. Die Kuppel wird gebildet von vielfach sich überkreuzenden Rippen, die sich zu einem strengen symmetrischen Muster verbinden. Die von den Ecksäulen des Oktogons aufsteigenden Bandrippen führen nur bis zum ersten Drittel der Kuppel. Auch alle anderen Rippen gehen stets an der Mitte vorbei, so daß dort eine runde Fläche frei bleibt. Deutlich ist wieder der islamische Einfluß erkennbar, die Kuppel erinnert mich eher an eine maurische Moschee als an eine christliche Kirche.
Die Ortschaft Torres del Rio, zu deutsch »Türme des Flusses«, beginnt im Tal, das von einem kleinen grünen Flüßchen, dem Linares, durchflossen wird und zieht sich verwinkelt eine Anhöhe hinauf. Auf der Kuppe sind keine Häuser mehr, dafür eine zweite Kirche. Dort sitze ich auf einer Mauer und lasse meine Beine in der Nachmittagssonne baumeln. Bis zur nächsten Ortschaft Viana sind es noch 15 Kilometer Fußmarsch. Nein, für heute bin ich genug gelaufen. Doch wo kann ich übernachten? Ich habe heute keine Lust, im Freien zu schlafen. Außerdem ist die Landschaft zu übersichtlich: Getreidefelder, Weinstöcke, Hecken, eine Baumreihe, nirgendwo ein sichtgeschütztes Plätzchen, wo ich mich mit meinem Schlafsack niederlassen könnte. Und ich bin ganz ehrlich zu mir - ich mag nicht einen Meter weit mehr gehen. Abschätzend betrachte ich die Kirche. Die Tür ist abgeschlossen, das habe ich schon ausprobiert, aber da ist das weit vorgezogene Dach, darunter könnte ich doch... Warum nicht hier mein Schlaflager einrichten? Im Schutze einer Kirche wird mich wohl niemand belästigen.
Lange bleibe ich nicht allein. Zuerst erscheinen die Kinder. Dann, eine nach der anderen, zu zweit oder in kleinen Gruppen, die Frauen des Dorfes. Bald stellt sich heraus, daß sie nicht wegen mir kamen, wie ich mir zuerst einbildete. Die Frauen lassen sich an der Westseite der Kirche auf dem Boden nieder oder auf Steinen und Holzstücken, lehnen den Rücken an die warme Außenmauer, legen die Hände in den Schoß, blicken über die weiträumige Landschaft, während die Sonne langsam untergeht, schwatzen mit der Nachbarin zur Rechten und zur Linken, rufen einen Scherz über alle Köpfe hinweg, trösten ein Kind, das sich beim Spiel sein Knie oder den Ellenbogen zerschrammt hat oder flechten dem anderen den aufgelösten Zopf neu. Jeden Nachmittag, wenn sie ihr Tagwerk beendet haben, sitzen sie hier und warten auf den Sonnenuntergang. Dann gehen sie nach Hause und kochen für die Familie das Abendessen.
»Aqui siempre encontramos, cada tarde, aparte hay lluvia pero lluvia es muy raro. Hier treffen wir uns immer, außer es regnet einmal, aber Regen ist sehr selten«, sagen sie. Den Frauen sieht man an, daß sie hart arbeiten müssen. Bauersfrauen, deren breitflächige Gesichter sonnengebräunt sind, bei den Jungen
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