Der Jakobsweg
richtet sich nach dem Weg.«
»Wie ist das eigentlich mit Logroño? Ich habe gelesen, die Stadt sei oft zerstört worden?«
Jesus hackt mit der Schuhspitze ein kleines Loch in die Erde vor der Bank und läßt sich Zeit mit der Antwort. »Naja, unsere Stadt lag eben an der Grenze zwischen den Königreichen Navarra und Altkastilien, da ist es halt dauernd zu Kämpfen gekommen. Oft blieb kein Stein auf dem anderen. Man sagt, deswegen habe Logroño keine Atmosphäre, kein Gesicht. Ich bin aber nicht dieser Meinung, ich finde, es ist eine schöne Stadt.«
»Entschuldige, Jesus, ich wollte Logroño nicht schlechtmachen.« Und schnell frage ich, um ihn abzulenken: »Was weißt du von Cesare Borgia?« Mir war plötzlich das Denkmal eingefallen, das ich in Viana gesehen hatte. Da gab es einen Widerspruch, in diesen klaren und edlen Gesichtszügen der Büste und den Beschreibungen, in denen er als gewissenloser Gewaltmensch, als Verderber der Menschheit geschildert wird. Weil man befürchtete, sein Begräbnisplatz in der Kirche Santa María würde die heilige Stätte entweihen, wurde die prunkvolle Tumba zerstört, als Viana an das Königreich Kastilien geriet. Seinen Leichnam verscharrte man vor der Kirchentüre.
»Ach, der Borgia!« ruft Jesus aus. »Ich weiß nicht viel. Nur daß er seine Schwester geliebt haben soll. Die Lucrezia muß ja ein schönes Weib gewesen sein! Aber sehr verrucht und verdorben!«
»Das kann doch nicht der Grund gewesen sein, weswegen man den Cesare so verteufelte?« bohre ich weiter.
»Man sagt, er habe seinen Bruder Giovanni ermordet, um dessen Besitztümer zu erben. Er muß äußerst machtbesessen gewesen sein und eine starke Kämpfernatur. Man nannte ihn el toro, den Stier.« Unwillkürlich klingt Bewunderung in Jesus Stimme. »Er war dabei, halb Italien zu erobern. Aber dann starb sein Vater, Papst Alexander VI. Als Papst hatte er nur eines im Sinn gehabt, nämlich die Macht derer von Borgia zu vergrößern. Damit hatte schon Papst Kalixt III., auch ein Borgia, angefangen, ein Großonkel des Cesare.«
»Sag mal, das verstehe ich nicht, wieso konnte sich Alexander VI. als Papst denn zu seinen Kindern bekennen? Das Zölibat hätte er wenigstens dem Schein nach wahren müssen?« frage ich.
»Kann ja sein, daß er die Kinder gemacht hat, bevor er Kardinal und später Papst wurde. Jedenfalls gab es große Empörung, als ausgerechnet der Borgia zum Papst ernannt wurde, weil dessen Lebenswandel alles andere als tugendhaft war.« Mir fällt auf, daß Jesus doch viel mehr weiß, als er vorher zugeben wollte, und ich frage ihn deshalb, woher er sein Wissen habe.
»Das hört man eben so. Ich will dir noch mehr erzählen. Als der Papst, Cesares Vater, starb - wahrscheinlich ist er vergiftet worden - war die Karriere des Sohnes vorbei. Er hatte viele Feinde, die ihm seine Erfolge neideten und lieber selbst an die Macht gelangen wollten. Der Cesare dachte aber nicht daran, mit seinen Eroberungen aufzuhören. Er unterwarf die Emilia Romagna, Umbrien, Siena und plante, sich auf die Städte Florenz, Bologna und Neapel zu stürzen. Doch da nahm man ihn gefangen und verschleppte ihn auf Befehl des Königs von Kastilien nach Spanien, um ihn dort in den Kerker zu werfen. Er war schon ein wilder Hund, un corajudo, gewesen, der Cesare, so einfach ließ der sich nicht unterkriegen. Er flocht sich ein Seil und stieg zum Turmfenster hinaus. Nur war das Seil zu kurz. Er hörte schon die Wachmannschaften rufen, die seine Flucht entdeckt hatten. Da blieb ihm nur der Sprung in die Tiefe, dieser Teufelskerl! El tuve cojones, er hatte Mut. Obwohl er sich schwer verletzte, gelang ihm die Flucht auf dem Rücken eines Pferdes, das ihm Getreue bereithielten.«
»Wie ging es denn dann weiter?«
»Das ist alles, was ich weiß. Mehr gibt es wohl auch nicht über ihn zu berichten, denn schon bald darauf wurde er mit nur 33 Jahren bei einem Kampf getötet. Das war im Jahr, warte mal, ja 1507 muß das gewesen sein.«
»So lange ist das schon her! Und da spricht man immer noch über ihn?« staune ich.
»Man spricht ja nicht über ihn. Ich habe nur berichtet, was ich wußte, weil du mich gefragt hast.«
»Du hast doch vorhin gesagt, du hättest darüber erzählen gehört.«
»Der Rafael Ojeda, das ist der cura, Pfarrer im Barrio Yague, der kennt die ganze Geschichte der Borgia-Familie, mit ihm unterhalte ich mich öfter. Der weiß eben alles! Den müßtest du kennenlernen. Don Rafael ist ein guter Mensch. Stell dir vor, in
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