Der Jakobsweg
Magie, der Verschwörung mit Dämonen, Hexen, Teufeln zu bezichtigen? Wir wissen heute kaum etwas über die Baumeister, Bildhauer und Steinmetze des Mittelalters. Ihre Namen sind selten überliefert und noch seltener Mitteilungen über ihr Schicksal.
Ich fühle mich hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, die Stadt zu verlassen, und der Neugier, wenigstens noch den Königspalast zu sehen. Von der hohen Treppe der Kirche San Pedro de la Rua schaue ich hinunter auf die Plaza San Martín. Ein ruhiger, harmonisch geschlossener Platz, umgeben von historischen Gebäuden, dem Rathaus aus dem 16. Jahrhundert und dem Palast der Könige von Navarra. In der Mitte das runde Becken eines Springbrunnens. Zwei Mädchen in weißen Kleidern umkreisen ihn und spritzen mit ihren Händen kleine Wasserfontänen empor.
Der Königspalast ist eines der wenigen nichtkirchlichen Bauwerke der Romanik, das bis heute erhalten geblieben ist. Gegen 1160 ließ Sancho der Weise den Palast errichten. Sein Sohn war der über zwei Meter große Sancho el fuerte, der sein Leben lang kämpfte, aber keine Nachkommen zeugte. - Königspalast - Estella - Rolandssage... Auf einmal fällt mir wieder ein, was Pater Sampedro in Roncesvalles erzählt hatte. Hier soll der Kampf des Ritters Roland mit dem Riesen Ferragut abgebildet sein. Es ist ein viereckiger Bau aus hellen Sandsteinquadern. Das Wort »Königspalast« läßt ein anderes Gebäude erwarten. Gewiß, es ist ein herrschaftliches Haus, aber ein Palast...? Das Untergeschoß besteht aus einer einzigen Halle, die sich mit vier Arkadenbögen nach außen öffnet. Die vier Fenster im Obergeschoß werden jeweils aus drei schlanken Säulen gebildet. Nach oben schließen die Fenster mit vier Bögen ab.
An den kleinen Kapitellen der Fenstersäulen findet sich zierlicher Schmuck, aber nirgendwo die versprochene Kampfszene. Schließlich entdecke ich sie. Die Fassade wird beidseits von zwei übereinanderstehenden Halbsäulen begrenzt. Auf dem Kapitell der unteren linken Säule sind zwei Ritter zu Pferde zu sehen, die ihre Lanzen kreuzen. Trotz der Verwitterung des Gesteins ist noch deutlich das feingearbeitete Zaumzeug der Pferde zu erkennen, das Kettenhemd der Reiter und das Ornament auf den Schildern. Nichts deutet darauf hin, daß hier der Kampf zwischen einem Riesen und einem Menschen dargestellt sein soll. Pater Sampedro hatte recht, es sind zwei Ritter, die sich im tödlichen Entscheidungskampf befinden. Er meinte, der eine Reiter symbolisiere das Christentum, der andere den Islam.
Nach Estella ist der Pilgerweg über weite Strecken mit der Landstraße identisch. Ich atme auf, als er zum Kloster Irache abbiegt und wieder als Feldweg durch die Landschaft führt, doch nur zu bald mündet er zurück in die verkehrsreiche Straße. Es ist die Hauptverkehrsader. Ich studiere die Karte genau, um irgendeinen Umweg zu finden, doch es bleibt mir nichts anderes übrig, ich muß Kilometer um Kilometer auf der Asphaltstraße traben. Es ist gefährlich, denn die Fahrzeuge rasen hautnah an mir vorbei. Bei riskanten Überholmanövern springe ich vorsichtshalber schnell in den Straßengraben. Es ist ein sehr warmer Tag geworden. Der heißeste bisher. Der zarte Nebel des Morgens ist schon lange verdunstet. Jetzt prallt die Sonne herunter und bringt den Asphalt zum Kochen. Die feucht verschwitzte Haut verpappt mit dem aufgewirbelten Staub. Ich ärgere mich. So was Dummes! Das macht keinen Spaß mehr, und trotzdem gehe ich weiter. Warum, wozu? In den Pyrenäen vor sechs Tagen war es zwar anstrengend und mühsam, aber es hatte mir Freude bereitet, dem müden Körper meinen Willen aufzuzwingen. Da war die Natur ringsum, das wilde Spiel der Wolken mit Wind und Sonne, die kreisenden Bartgeier, die halbwilden Gebirgspferde und die in goldenes Licht getauchte Schafherde, die über die weiten Kämme zog.
Ich verfluche die Straße und gehe trotzdem weiter. Ich könnte ja einfach ein Auto anhalten und so weit mitfahren, bis der alte Pilgerweg wieder abzweigt. Allerdings habe ich mir nun einmal vorgenommen, nach Santiago zu Fuß zu gehen. Entweder ich lege jeden Kilometer aus eigener Kraft zurück oder ich breche das Unternehmen ganz ab und fahre gleich nach Hause. Also beschließe ich, so lange zu laufen, bis sich meine Stimmung wieder bessert. Doch schon bald muß ich mich in den Straßengraben setzen und die Schuhe ausziehen. Das feste Schuhwerk ist zwar gut als Halt für die Füße, zumal bei zusätzlicher Belastung durch den
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