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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Rohrbach
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der schlimmen Franco-Zeit hat er vielen das Leben gerettet. Er versteckte die Leute, gab ihnen Geld und sorgte dafür, daß sie über die Grenze nach Frankreich flüchten konnten. Er ist wirklich ein richtig guter Mensch«, schwärmt Jesus.
    Inzwischen ist es später Nachmittag geworden. Ich muß mir ein Nachtlager suchen. Zwar habe ich heute nur wenige Kilometer zurückgelegt, kaum zwanzig, aber das Gespräch mit Jesus war mir wichtiger. Ich will ja nicht in Rekordgeschwindigkeit ans Ziel gelangen, sondern mit den Menschen unterwegs in Kontakt kommen, einen Einblick gewinnen. Nun aber ist es zu spät, die Stadt heute noch zu verlassen. »Jesus, gibt es in Logroño ein Refugio? Ich will hier übernachten.«
    »Nein, nur eine Unterkunft bei der Caritas. Da darfst du nicht hingehen. Man bestiehlt und belästigt dich dort. Es ist ein Unterschlupf für Leute, die keine Wohnung und keine Arbeit haben. Ich weiß etwas Besseres. Ich bringe dich zu Pater Rafael!«
    Ich protestiere: »Nein, nein! Ich bin doch nicht hilfebedürftig. Da nehme ich lieber ein Zimmer in einer Pension.« Aber Jesus ist von der Idee, mich mit seinem Vorstadtpfarrer bekannt zu machen, nicht mehr abzubringen.
    »El es un hombre bueno! Un hombre tan bueno! Es ist ein guter Mensch, ein wirklich guter Mensch«, wiederholt er immer wieder.
    Das Barrio Yague ist ein Stadtviertel von Logroño. Die grauen, häßlichen, renovierungsbedürftigen Mietshäuser zeigen, daß hier der ärmere Teil der Bevölkerung lebt. Jesus begleitet mich und nutzt die Zeit, das Thema »Don Rafael« weiter auszuschmücken. »Er stammt nämlich aus einer sehr angesehenen Familie. Seine Eltern sind reich, wahrhaft reich, aber sie haben ihn enterbt, weil er sein Jurastudium abgebrochen hat und statt dessen Pfarrer bei den Armen geworden ist. Nun besitzt er weniger als die Leute hier. Wenn er etwas bekommt, verschenkt er es sofort.«
    Inzwischen bin ich recht neugierig auf diesen Pfarrer. Jesus geht voran, in ein Haus mit abblätterndem Putz, das ebenso grau ist wie die anderen. Die Haustür ist ohne Farbanstrich und hängt schief in den Angeln. Ein dunkler, muffiger Treppenaufgang. Nach mehrmaligem Klopfen kommt von drinnen ein Murren. Wir treten ein. Flur, Küche, Zimmer - es sieht aus wie in einer abgenutzten Studentenbude. Auf einem Bett liegt apathisch ein junger Mann. Eine zierliche, schwarze Katze streicht um unsere Beine und steigt dann in einen Korb mit neugeborenen Kätzchen. Es klopft an der Tür. Zwei Frauen treten ein und wollen Don Rafael sprechen. Weil der Pfarrer nicht da ist, gehen sie in die Küche, spülen herumstehende Tassen und Gläser unter kaltem Wasser ab und brühen Pulverkaffee auf. Sie sprechen lebhaft und ihrer Intensität und Lautstärke nach geht es um Wichtiges. Ich kann den Zusammenhang nicht verstehen, nur daß es Probleme mit einer Kommission gibt. Jesus will etwas sagen: Er nickt, er schüttelt den Kopf, er hebt die Hände. Vergeblich, er kommt nicht zu Wort. Der Redestrom ist nicht zu unterbrechen. Es sind selbstbewußte Frauen. Man spürt, sie sind es gewöhnt, vor einer großen Menschenmenge zu reden. Die Dunkelhaarige mag Mitte Dreißig sein, ihre Züge zeigen noch die Spuren vergangener Schönheit. Sie macht einen ernsten, verbitterten Eindruck. Ihr Madonnengesicht ist herb geworden, wie einstmals blühendes Land, dem das Wasser fehlt, die hohe Stirn ist gefaltet und von den Nasenflügeln furchen sich tiefe Linien zu den Mundwinkeln. Die andere Frau ist klein mit aschblonden Haaren. Sie kommt mir bekannt vor. Ich brauche eine Weile, bis mir einfällt, daß so die Arbeiterfrauen ausgesehen haben, die ich bisher nur aus Filmen kannte. Filme, die in der Zeit spielten, als August Bebel und Karl Liebknecht die Sozialdemokratische Partei in Deutschland gründeten und Rosa Luxemburg und Clara Zetkin die Fabrikarbeiterinnen aufriefen, sich gegen Unrecht und Ausbeutung zu wehren.
    Don Rafael tritt durch die Tür. Ich hatte versucht, mir vorzustellen, wie er wohl aussehen würde. Nur weil ihn die anderen so nennen, wird mir klar, daß er der cura, der Pfarrer, ist. Unwillkürlich hatte ich an einen großen, ernsten Mann gedacht, eine Mischung zwischen gütiger Vaterfigur und weisem Gelehrten. Doch durch die Tür wirbelt ein kleiner, rundlicher Kerl. Trotz seiner Beleibtheit ist er erstaunlich beweglich. Ich schätze sein Alter auf Ende Vierzig. Der runde Kopf ist fast ohne Haare. Der Blick aus dem Gesicht mit den Pausbacken und dem Doppelkinn drückt

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