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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Rohrbach
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Gemüse, Kartoffeln, Leber, Nachtisch und Obst, Rotwein aus einem grünbäuchigen Krug. Ein weißbezogenes Federbett in einem holzgetäfelten Raum... Nicht, daß ich meinem kargen Pilgerdasein untreu geworden und mich in einem teuren Hotel eingemietet hätte - nein, ich bin zu Gast bei den Augustinern im Kloster San Millán de Yuso.

    Die Mönche bestürmten mich mit soviel Herzlichkeit, da konnte ich nicht widerstehen. Nun liege ich in dem breiten, weichen Bett in einem Zimmer für Gastnovizen und denke zurück an den Tag, der so besonders ereignisreich gewesen war:
    Die Nacht zuvor, in Nájera, war das Lager hart und kalt auf dem steingefliesten Boden. Sehr früh erwachte ich. Die Morgendämmerung erlebte ich im Kreuzgang. Er gehörte mir nun nicht mehr allein. Mönche, schwarzgekuttet, schritten die Gänge entlang, eiligen Schrittes die einen, andere gemächlich, während sie ihr Brevier lasen.
    Rote Felsen umgaben das Kloster. Hier war in Vorzeiten Garcia zur Jagd geritten. Viele Höhlen waren in den roten Lehmhang eingegraben, Schattenplätze für das Vieh.
    Der Pilgerweg verlief zwischen Weinfeldern und Getreide. Zementkanäle auf Stelzen zerschnitten häßlich die Landschaft. Zur Bewässerung ließ sie Franco installieren, um den Ertrag dieser fruchtbaren Gegend zu erhöhen.
    Mein nächstes Ziel, das Dorf Azofra, war nur zwei Wanderstunden vom Kloster Santa María la Real entfernt. Azofra hat heute knapp 500 Einwohner. Früher, als noch Tausende von Pilgern nach Santiago strömten, soll es hier Raststätten und Hospitäler gegeben haben, aber nicht einmal Ruinen sind übriggeblieben. In der Dorfkirche, hörte ich, gibt es eine Holzfigur, die Jakobus als Pilger darstellt. Noch vom Sonnenlicht geblendet, betrat ich den dunklen Kirchenraum. Ich dachte gerade daran, daß wohl der Künstler damals unter den vielen Pilgern ein Modell für sein Werk ausgewählt haben wird, als sich plötzlich jemand direkt hinter mir räusperte. Ich fuhr herum. Da saß der Pfarrer im Dunkel der Bankreihen und beobachtete mich, sicher schon von Anfang an. Er hatte gesehen und gehört, wie ich staubig und verschwitzt eintrat, wie ich den schweren Rucksack nicht gerade sanft absetzte und ihn bedenkenlos gegen das Gestühl krachen ließ und wie ich in meinen Wanderschuhen zum Altar polterte und die Schnitzfigur fixierte, ganz so wie jemand, der etwas für sich in Besitz nimmt, schnell, anmaßend, rücksichtslos. Ich schämte mich. Widergespiegelt in den Augen eines anderen Menschen wurde mir bewußt, wie unsensibel und ungehörig ich mich verhalten hatte. Aber eigentlich hätte ich das vorher merken müssen, mein Verhalten also selbst kontrollieren sollen und nicht erst dann, wenn man von anderen beurteilt wird. Verwirrt stand ich da und wäre am liebsten noch mal eingetreten, diesmal ganz anders, leise, an der Tür abwartend stehengeblieben, bis der Raum bereit wäre, mich aufzunehmen.
    Der Pfarrer unterbrach meine Erstarrung.
    » Extranjera ? Sind Sie Ausländerin?« Ich spürte, er wollte mir eine Brücke bauen, um mir meine Verlegenheit nicht noch peinlicher werden zu lassen.
    Ich versuchte, mich in ein besseres Licht zu stellen, indem ich etwas murmelte von: weitem Weg, Sonne, Staub, Hitze, Erschöpfung.
    Er lächelte. »So, so, nach Santiago also. Und warum? Sie sind nicht katholisch!« Es klang nicht wie eine Frage, eher wie eine Feststellung.
    »Nein«, antwortete ich.
    »Evangelisch?«
    »Nein, ich bin nicht gläubig.«
    Schweigen. Ich wartete auf seine nächste Frage.
    »Aus sportlichem Interesse also?«
    »Nein, auch nicht. Ich will einfach unterwegs sein.«
    Er schwieg. Es gäbe vieles zu sagen, vieles zu fragen. Unterwegs sein ist wie auf der Flucht sein, vor sich selbst und vor den Pflichten des Lebens. Keine Verantwortung tragen, bevor eine Bindung, eine Abhängigkeit entstehen kann, ist man schon weiter, woanders.
    Der Pfarrer entschied sich offenbar schnell, nicht weiter in meinem Seelenleben zu forschen. Er wechselte das Thema und sagte in bestimmendem Ton: »Gehen Sie nach San Millán de Suso! Es ist ein kleines Kloster in den Bergen, zwanzig Kilometer von hier entfernt. Es liegt nicht direkt auf dem Pilgerweg, aber es kann für Sie wichtiger sein als Santiago. San Millán de Suso, merken Sie sich den Namen.«
    Ich verließ den Pilgerweg und folgte einer kaum befahrenen Landstraße. Nach einer Stunde kam ich nach Cañas. Wenige geduckte Bauernhäuser, überragt von dem gotischen Bauwerk eines Nonnenklosters. Der Tag

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