Der Jakobsweg
wirkungsvoll, wenn der Himmel gleich einen verehrungswürdigen, heiligen Gegenstand mitlieferte.
»Die Virgen de la Terraza ist im Retabel am Hochaltar angebracht. Sie ist zu kostbar, um sie hier unten zu lassen. Als Ersatz haben wir eine spätere, gotische Marienfigur hergestellt«, sagt der Franziskaner.
Als heiliger Ort diente die Kirche als Begräbnisplatz für viele Könige Navarras, Kastiliens und Leons. Nebeneinandergereiht füllen die Sarkophage das Pantheon. In der Capilla de la Cruz weist der Mönch besonders auf den Sarkophag der Doña Blanca hin. Sogleich vermute ich, diese Doña Blanca sei die Schwester des Sancho del fuerte, der in Roncesvalles bestattet liegt. Doch der Mönch klärt mich auf, mit den spanischen Adligen sei es sehr schwierig, denn über Generationen hinweg haben sie ihren Kindern immer die gleichen Namen gegeben, so daß man sich heute kaum noch zurechtfindet mit den Blancas, Urracas, Sanchos, Garcias, Alfonsos und Fernandos. »Diese Doña Blanca war die Tochter des Königs Garcia Ramirez von Navarra. Sie wurde mit dem König von Kastilien, Sancho III., verheiratet und starb im Jahr 1156 in Toledo bei der Geburt ihres ersten Kindes«, berichtet der Mönch.
Ich denke mir, daß sie wahrscheinlich noch sehr jung gewesen war, eigentlich ein Kind, nach unseren heutigen Maßstäben. Meist wurden die Mädchen bereits mit knapp fünfzehn Jahren verheiratet. Doña Blanca erfüllte die von ihr verlangte Aufgabe, gebar einen Sohn und starb, ohne selbst richtig gelebt zu haben. Das Kind überlebte die schwere Geburt, bestieg nach dem Tode seines Vaters als Alfonso VIII. den Thron und regierte bis 1214.
Auf der Sarkophagwand sieht man die Sterbeszene: Die Tote sinkt zurück, Engel empfangen ihre Seele. Links und rechts jammern Klageweiber. Auch der König ist als Trauernder dargestellt.
Der mir zum Schlafen zugeteilte Raum ist leer bis auf ein Marienbild an der Wand. Ich bin noch nicht müde. Warum soll ich nicht mal meine karge Ernährung mit einem üppigen Mahl in einem Restaurant aufbessern? Bisher habe ich mir wenig gegönnt, nur das »Pilgeressen« in Roncesvalles und das Omelette in Lorca. Restaurants gibt es viele in der Altstadt, doch alle öffnen erst nach 21 Uhr. Die Wartezeit verbringe ich auf einem kleinen, sehr sauberen Platz, dessen Boden mit Kacheln gefliest ist. Im Viereck sind Bänke angeordnet, okkupiert von Frauen mit ihren Kindern. Die Frauen sind übermäßig geschminkt: knallrote Lippen, schillernde Lidschatten, die Haut mit Make-up zugepappt. Sie tragen modische Kleidung, und die Pfennigabsätze klappern, wenn sie, meist einen Kinderwagen vor sich herschiebend, im Kreis gehen. Die lauten Stimmen der Frauen und das Kreischen der Kinder bricht sich an den Häuserwänden ringsum und schallt vielfach zurück. Groß ist der Kontrast zwischen den kalten Gruftkammern der königlichen Vergangenheit von Nájera, wo ich eben noch weilte, und der Quirligkeit dieses kleinstädtischen Platzes.
Alle Stühle in der Gaststätte »Paraiso« sind noch unbesetzt. Länger kann ich nicht warten, wegen meines Hungers und weil ich nicht zu spät an der Klosterpforte um Eintritt bitten will. Ich bestelle eine trucha, Forelle. Es ist komisch, der einzige Gast zu sein. Der Fisch ist gut, will mir aber trotzdem nicht recht schmecken. Ich fühle mich einsam. Ich esse schnell und verlasse das Lokal. Die Belegschaft des kleinen Platzes hat gewechselt. Statt der Mütter und Kinder besetzen jetzt junge Pärchen die Bänke oder spazieren im Kreis herum. Lebhaftes Schwatzen, Kichern und Lachen hallt durch die Nacht. Die Häuser drücken sich dicht an das Kloster heran. Seine starken Mauern aber halten den betriebsamen Lärm fern. Weltabgeschiedene Ruhe. Langsam schreite ich durch die hohen Gänge, öffne leise die schwere Tür zum Kreuzgang. Freude durchströmt mich. Noch nie konnte ich nachts in einem Kreuzgang sein. Eine geheimnisvolle Stille. Das Dunkel wird von den schimmernden Säulen aufgehellt. Das Mondlicht verfängt sich in dem zarten Steinfiligran der Arkadenbögen. Gebannt stehe ich da und schaue. Die stille Schönheit durchdringt mich wie ein Rausch. Gleich einem Geist wandle ich die Säulengänge entlang und streichle mit der Hand sacht über die Steine. Fast schon glaube ich, selbst ein Wesen zu sein aus längst vergangenen Zeiten, das der Mond zu somnambulem Leben erweckt hat.
10 Von Nájera nach San Millán de la Cogolla
Eine heiße Dusche, ein mehrgängiges Essen: Suppe,
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