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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Rohrbach
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großen Stadt und den vielen Menschen entgegenzutreten. Wie eine Krankheit überfiel mich wieder dieses Gefühl der Vereinsamung zwischen Tausenden unbekannter Menschen. Wo waren sie nur, die drei einzigen, die ich kannte? Nie würde ich sie in diesem Gewühl finden. Ich konnte nicht anders, ich mußte Burgos sofort verlassen. Und dabei doch gleichzeitig dieses Bedauern, nichts gesehen zu haben von dieser alten Königsstadt Kastiliens am Rio Arlanzón, schon 884 als Bollwerk gegen die Mauren gegründet.
     

    Das Denkmal des Cid sah ich noch: großspurig auf einem stampfenden, schweren Streitroß kommt er dahergestürmt. Das Pferd bäumt sich auf, mit starker Hand hält er die Zügel, mit der anderen schwingt er das Schwert empor, der Bart wallt ihm auf die Brust. El Cid, der heldenhafte Ritter aus dem 11. Jahrhundert. Gerade in diesem Jahrhundert lebten Männer, deren Name bis heute überdauerte: Santo Domingo de la Calzada und San Juan de Ortega und zu dem dritten Heiligen, Santo Domingo de Silos, bin ich gerade unterwegs. Auch der Held El Cid scheint seine Wirkung als Vorbild noch nicht eingebüßt zu haben, denn das Standbild wurde erst 1955 geschaffen, im Auftrag von Franco!
     
    Als wäre ich an diesem Tag noch keine 20 Kilometer gegangen, wandere ich weitere 20 Kilometer südlich aus Burgos hinaus. Wieder der Kontrast - gedrängt die Stadt, menschenleer das Land. Grau besteint sind die Hochflächen, karge Felder dazwischen eingestreut. Ein Schäfer führt seine Herde dem Horizont entgegen. Es ist nicht mehr der westwärts, auf die Abendsonne zielende Pilgerweg, dem ich folge, sondern mit Kompaß und Karte suche ich den kürzesten Weg nach Silos anzusteuern. Vier Stunden später dunkelt es. Zwischen langährigen Gräsern und kleinen gelben Blumen lege ich mich zum Schlafen nieder. Ich sehe nicht mehr die Mondsichel und die Sterne, sondern schlafe sofort ein.
    Als ich am nächsten Morgen aufwache, habe ich das Gefühl, der letzte Überlebende auf der Erde zu sein, so weit und einsam ist der Blick ringsum, ausgelaugt und vertrocknet der Boden. Seit Stunden gehe ich, und alles bleibt gleich, als würde ich mich nicht von der Stelle bewegen. Das scheint ein Land nicht zum Leben, sondern um von der Sonne ausgedörrt zu werden, ein Land zum Kämpfen und zum Sterben. Hier ritt er, der von seinem Vater ausgesandte Mudara, den Tod seiner Halbbrüder zu rächen. Und die Reiterheere der Christen und Muselmanen standen sich hier in der karstigen Weite gegenüber. El Cid hatte sich damals besonders hervorgetan, so sehr, daß er noch heute als spanischer Nationalheld, als Symbolfigur der Reconquista, als Streiter für das Christentum, verehrt wird. Nur nahm er es nicht so genau, für wen und gegen wen er kämpfte. Rodrigo Diaz hieß er eigentlich und wurde um 1050 bei Vivar nördlich von Burgos geboren. Sein Vater war ein hoher Adliger, und für adlige Söhne gab es nur zwei Berufe: Geistlicher oder Krieger. Der kleine Rodrigo wußte, was er wollte: Der Stärkste sein! Bald besiegte er in Spielkämpfen nicht nur die Gleichaltrigen. Er muß der geborene Haudegen gewesen sein. Das entging natürlich auch nicht der Aufmerksamkeit des Königs. Sancho II. rief ihn an seinen Hof. Was es damals für einen Edelmann bedeutet haben muß, für seinen König kämpfen zu dürfen, kann ich mir aus heutiger Sicht kaum noch vorstellen. Seine Ehre, die mehr wert war als das Leben, setzte man im Kampf für den König ein. Doch dann wurde Sancho II. ermordet, und Rodrigo hielt seinen neuen Herrn, Alfons VI., den Bruder des Getöteten, für den Mörder. Ein unlösbarer Zwiespalt für einen geradlinigen Haudegen tat sich auf: Konnte er weiterhin seinem König dienen, wenn dieser ein Mörder war? Alfons VI. verbannte den widerspenstigen Paladin vorsichtshalber von seinem Hof. Anstatt sich nun der Bewirtschaftung seiner Güter zu widmen, verdingte sich Rodrigo Diaz beim Feind. Er begab sich mit seiner Gefolgschaft in den Dienst des arabischen Herrschers von Zaragoza. Einige Jahre kämpfte er auf maurischer Seite gegen seine Christenbrüder. Rodrigo erwarb sich bei den arabischen Kampfgenossen hohes Ansehen. Sie gaben ihm den Ehrentitel saijd - Herr. Aus saijd wurde nach spanischer Schreibweise Cid. So trägt gerade der Nationalheld der Spanier einen arabischen Namen. Die Jahre vergingen. König Alfons VI. wurde von den Muselmanen, verstärkt durch die Schlagkraft des El Cid und seiner Getreuen, stark bedrängt. Da hörte der König endlich auf

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